Eine offizielle Schweizer Landeshymne gibt es erst seit 1961. Damals erklärte der Bundesrat Trittst im Morgenrot daher... zur Nationalhymne, vorerst jedoch nur provisorisch für drei Jahre. Zuvor wurde während fast hundert Jahren nach einem passenden Lied gesucht. Es wurden auch Wettbewerbe ausgeschrieben, so etwa 1935 von der Schweizer Illustrierten.
«Rufst Du mein Vaterland» versus «Schweizer Psalm»
Bis Ende der 1950er Jahre wurden in der Schweiz bei offiziellen Anlässen hauptsächlich Rufst Du mein Vaterland und der Schweizer Psalm (Trittst im Morgenrot daher...) gespielt. Der Verfasser des Gedichts Rufst Du mein Vaterland war der an der Universität Bern tätige Philosophieprofessor Johann Rudolf Wyss (1782-1830). Vermutlich wurde der Text von Anfang an anhand der Melodie der britischen Nationalhymne God save the King (heute God save the Queen) vertont. Der Komponist der Melodie ist unbekannt. Gewiss ist, dass die Komposition in der Mitte des 18. Jahrhunderts zuerst in England bekannt wurde und von dort aus ihren Siegeszug auf den europäischen Kontinent antrat. Im 19. Jahrhundert wurde sie zur Gebrauchsmelodie für viele Könige, Herzöge und Fürsten des deutschen Reiches. Die Zeiten überdauert hat die Melodie in der britischen Nationalhymne, in der Hymne des Fürstentums Liechtenstein (Oben am jungen Rhein lehnet sich Liechtenstein an Alpeshöhn) und in Rufst Du mein Vaterland.
Demgegenüber ist der Schweizer Psalm eine rein schweizerische Schöpfung. Der Komponist war der im Kloster Wettingen lebende Zisterzienserpater Alberik Zwyssig (1808-1854). Die Melodie des Schweizer Psalms war ursprünglich ein Messegesang mit dem Titel Diligam te Domine. Im Jahr 1841 unterlegte Pater Zwyssig seiner Melodie den Schweizer Psalm-Text des Zürcher Dichters Leonhard Widmer. Das Lied wurde in den folgenden Jahren an Sängerfesten aufgeführt und unter anderem auch ins Liederbuch des Eidgenössischen Sängervereins aufgenommen.
Das oft als inoffizielle Landeshymne gespielte Lied Rufst Du mein Vaterland wurde im Laufe der Zeit als textlich veraltet angesehen. Die Zunahme der internationalen Kontakte im 20. Jahrhundert führte zudem öfter zu Verwirrung, wenn sowohl die schweizerische als auch die britische Hymne gespielt wurden. Es kam der Wunsch auf, das Lied Rufst Du mein Vaterland durch den Schweizer Psalm zu ersetzen und diesen zur offiziellen Schweizer Landeshymne zu ernennen.
Doch auch der Schweizer Psalm hatte seine Gegner. Die Kritik betraf den religiösen Inhalt des Textes (das Lied eigne sich deshalb nicht bei sportlichen Veranstaltungen) und die - nach dem Urteil einiger Kreise - zu komplizierte Melodie. Ersterem entgegen gehalten wurde die Tatsache, dass das Lied bei sportlichen Anlässen meist nur gespielt und nicht gesungen würde.
Was den Schwierigkeitsgrad der Melodie betraf, äusserte sich der Schweizer Komponist Gustave Doret öffentlich unter anderem mit folgenden Worten: «Frankreich wäre es nie in den Sinn gekommen, die Marseillaise zu verleugnen, obwohl dieses geniale aber sehr komplexe Werk nicht mit dem einfachen Chorgesang von Zwyssig verglichen werden kann.»
1894 – die Suche nach einer Landeshymne beginnt
Der Bundesrat äusserte sich mehrmals zur Frage einer schweizerischen Nationalhymne. Erstmals 1894 auf Grund einer Eingabe eines Genfer Gesangslehrers, der anregte, den Schweizer Psalm offiziell zur schweizerischen Nationalhymne zu erklären. Der Bundesrat äusserte sich in dem Sinne, dass «die Einführung eines derartigen Gesanges nicht durch Beschluss irgend einer Staatsbehörde angeordnet werden könne sondern dem Geschmack des singenden Volkes anheimgestellt bleiben müsse». 1933 wurde erneut eine Eingabe mit derselben Bitte wie 1894 an den Bundesrat gerichtet. Diesmal sprachen sich über 250 Delegierte des Eidgenössischen Sängervereins dafür aus, den Schweizer Psalm offiziell zur schweizerischen Nationalhymne zu erklären. Unterstützt wurde die Eingabe durch den Vorstand des Schweizerischen Tonkünstlervereins. Im Jahr 1934 nahm der Bundesrat dazu Stellung. Aus den gleichen Gründen wie im Jahr 1894 sah er sich nicht in der Lage, einen Entscheid zu treffen.
1941 waren seit der Erstaufführung des Schweizer Psalms 100 Jahre vergangen. Aus Anlass dieses 100jährigen Jubiläums und aus Anlass der Feierlichkeiten zum 650jährigen Bestehen der Schweizerischen Eidgenossenschaft wurde erneut das Begehren an den Bundesrat gerichtet, den Schweizer Psalm zur offiziellen Landeshymne zu erklären. Der Bundesrat nahm Rückfrage beim Eidgenössischen Sängerverein und beim Schweizerischen Tonkünstlerverein. Der Eidgenössische Sängerverein konnte das Begehren nicht mehr vorbehaltlos (wie noch 1933) unterstützen. Die Landesausstellung 1939 und der ausbrechende Weltkrieg hätten eher wieder dazu geführt, das Lied Rufst Du mein Vaterland lebendig und aktuell werden zu lassen. Demgegenüber unterstützte der Schweizerische Tonkünstlerverein nach wie vor die Idee, den Schweizer Psalm zur offiziellen Nationalhymne zu erklären. Der Bundesrat sah sich erneut nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen.
Das Hin und Her ging in den nächsten Jahren weiter. So sprach sich zum Beispiel 1953 die Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Sänger für Rufst Du mein Vaterland aus (mit dem Vorschlag, den Text zu ändern; wobei mit einer Auswechslung des Textes die Verwechslungsmöglichkeit der Melodie noch nicht behoben gewesen wäre). In einem parlamentarischen Vorstoss des Ständerats Gotthard Egli (mitunterzeichnet von 30 Ständeräten) wurde 1954 der Bundesrat eingeladen, «in Verbindung mit den Kantonen und den massgebenden Verbänden Erhebungen zu machen und Massnahmen zu treffen zur Anerkennung eines dem Volksempfinden entsprechenden Liedes als Landeshymne. Eventuell wäre ein Wettbewerb zur Gewinnung einer neuen Nationalhymne zu veranstalten».
In der Frühjahrssession 1955 wurde beschlossen, mit den Kantonsregierungen in oben erwähnter Sache «Fühlung zu nehmen [...] von einem Wettbewerb sei allerdings nicht viel zu erhoffen». Schon in früheren Jahren wurden Wettbewerbe zur Erlangung einer Nationalhymne ausgeschrieben (erstmals 1919 durch den Eidgenössischen Sängerverein).
«Nationales Preisausschreiben für Musiker»
1935 wurde ein Wettbewerb durch die Schweizer Illustrierte Zeitung organisiert. Es wurden 1819 Texte und 581 Kompositionen eingereicht. Die literarische und musikalische Jury verzichtete aber darauf, eines der vorgeschlagenen Lieder als Nationalhymne zu empfehlen. Vier der in der Schweizer Illustrierte Zeitung veröffentlichten Lieder und Kompositionen wurden mit Preisen ausgezeichnet.
Eine Vernehmlassung unter den Kantonen führte 1981 dazu, dass das seit 1961 alle drei Jahre verlängerte Provisorium aufgehoben wurde und die Beibehaltung von Trittst im Morgenrot daher... als offizielle Landeshymne durch den Bundesrat bestätigt wurde. Eine 2004 im Nationalrat eingereichte Motion, die eine Modernisierung des Textes der Hymne verlangte, wurde 2006 zurückgezogen.