Nose to Tail: Schnörrli bis zum Schwänzli

Für die vollständige Verwertung geschlachteter Tiere werden heute auch ökologische Gründe vorgebracht. Das Konzept, Tiere vom «Schnörrli bis zum Schwänzli» aufzuessen, ist freilich nicht neu, sondern entspricht dem traditionellen Umgang mit der kostbaren Ressource Fleisch. Die Metzgereibranche unterstützt die Renaissance alter Fleischgerichte.

Das Inserat beinhaltet ausser dem Umschlagtitel «Das billigste Kochbuch» und den weiteren Titelangaben auch den Hinweis, dass die Neuscheinung zum Preis von 75 Rappen in der Schablitz’schen Buchhaltung in Zürich erhältlich ist. Ferner ist das detaillierte Inhaltsverzeichnis abgedruckt.
Anzeige (Ausschnitt) der Buch-Neuerscheinung J. H. Heer, «Das billigste Kochbuch», in: Zürcherische Freitagszeitung, Nummer 50 vom 16. Dezember 1859

Nur «eingefleischte» Liebhaber essen heutzutage noch Innereien. Diese und andere Fleisch-Spezialitäten sind zum grossen Teil aus den Auslagen der Metzgereien verschwunden. Mit zunehmendem Wohlstand musste die Bevölkerung in den Industriestaaten einen immer kleineren Teil des Einkommens für Nahrungsmittel aufwenden. Die Mehrheit braucht sich heute nicht mehr mit «einfacher Kost» zu begnügen.

Teure und günstige Körperteile

Ein Schwein besteht nicht bloss aus Schinken und Koteletten, beim Rind machen die Edelstücke nur etwa 15% des verkaufsfertigen Fleisches aus. «Noble» Teile waren schon immer besonders gefragt und entsprechend teuer. Aber auch Leute in bescheidenen Verhältnissen mussten nicht ohne Fleisch auskommen, gab es doch ein breites Angebot von «minderen» Stücken und eine grosse Vielfalt an Rezepten für deren Verarbeitung. Davon zeugen Publikationen wie «Das billigste Kochbuch» (3. Aufl. 1862), in denen die Zubereitung gefüllter Kalbsohren, von Schweinsfüssen etc. beschrieben wird.

«Nose to Tail» als Wiederentdeckung

Mit ihrer zunehmenden Industrialisierung verschwand die Fleischproduktion aus dem Bewusstsein der Konsumenten und Konsumentinnen. Den entanimalisierten Stücken im Verkaufsregal ist ihre Herkunft als Körperteil eines Lebewesens kaum mehr anzusehen. Wenn die Zutaten in gehobenen Küchen dann noch zu Schäumen und Essenzen reduziert werden, geht der Bezug zum Ursprung der Nahrungsmittel vollends verloren. Als Gegenbewegung dazu entwickelte der englische Koch Fergus Henderson das Konzept «Nose to Tail». Im Zentrum steht dabei die Wertschätzung gegenüber dem (geschlachteten) Tier einerseits und die Freude am sinnlichen Genuss andererseits. «Es ist dem Tier gegenüber unanständig, es nicht von Kopf bis Fuss zu verwerten», findet Henderson in seinem 1999 veröffentlichten Buch «Nose to Tail Eating», das 2014 im Basler Echtzeit Verlag in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Neue Argumente für das vollständige Verwerten

Die Aufzucht von Nutztieren beansprucht viel natürliche Ressourcen, ebenso der Import von Edelstücken aus Übersee. Zu den traditionellen Beweggründen gesellen sich deshalb ökologische Motive, beim Schlachtfleisch weniger «schnäderfrässig» zu sein. Auch hierzulande stiess «Nose to Tail» auf Wiederhall, wobei in der Deutschschweiz die Bezeichnung «Vom Schnörrli bis zum Schwänzli» gebräuchlich wurde.

Gültig bleibt das Argument von früher, wonach Schmorstöcke, Siedfleisch und Innereien das Portemonnaie schonen. Allerdings verlangt ihre Zubereitung oft mehr Zeit als das Braten eines Steaks oder das Fertigkochen von vorgefertigten Mahlzeiten. Insofern weist «Nose to Tail» eine Nähe auf zum Slow-Food-Konzept, das in den letzten Jahrzehnten in Absetzung zum Fast Food entstanden ist.

Bärenfleisch auf dem Teller

Wählerisch geworden sind Fleischesser und Fleischesserinnen nicht bloss bei der Wahl der bevorzugten Fleischstücke, sondern auch bezüglich der Tierarten. Je nach Kulturraum und Zeitepoche wird eine Tierart als «bester Freund», als «ekelerregend», als «Delikatesse» oder anders wahrgenommen. Nebst dem Wohlstand spielt dabei auch das ästhetische und das gefühlsmässige Empfinden gegenüber Tieren eine wesentliche Rolle.

Exemplarisch zeigen lässt sich das am Verhältnis der Berner Bevölkerung zu ihrem Wappentier: Während langer Zeit wurden überzählige Bären, für die im Bärengraben kein Platz mehr war, geschlachtet und das Fleisch als Exklusivität in Restaurants angepriesen. 1984 hatte sich die Mentalität gewandelt: Als der damalige Tierparkdirektor öffentlich verlauten liess, «diese Art von Kadaververwertung» stelle «nichts Anrüchiges» dar, löste er damit eine Welle der Entrüstung aus, worauf er die Bären aus dem Bärengraben den Restaurants nicht länger anbot. Stattdessen gelangten die getöteten Tiere in die GZM in Lyss, wo sie zusammen mit anderen Kadavern zu Tierfutter und Dünger verarbeitet wurden.

Inzwischen ist aus dem Bärengraben der Bärenpark geworden und die «modernen» Bären werden daran gehindert, Nachwuchs zu zeugen, damit keine überzähligen Tiere mehr getötet werden müssen. Berner und Bernerinnen stören sich heute am Fehlen von «niedlichen» Jungbären so, wie sie sich einst über das Schlachten der überzähligen Tiere ereiferten.

Literatur und Quellen

Letzte Änderung 13.04.2021

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