Von Zahlen und Menschen: Die Lastenträger aus André Gides Expedition

Von Juli 1925 bis Mai 1926 unternahmen André Gide und Marc Allégret eine Expedition in das sogenannte Französisch-Äquatorialafrika Für diese Rundreise beschäftigten die beiden Männer eine grosse Anzahl von Lastenträgern, wovon erhaltene handschriftliche Listen zeugen.

Von Fabien Dubosson

Dem Schriftsteller André Gide und seinem Begleiter Marc Allégret standen während ihrer Reise unterschiedliche Transportmittel zur Verfügung: verschiedene Boote, um die Flüsse hinaufzufahren, seltener auch das Auto auf bestimmten befahrbaren Strecken. Ein Grossteil der Reise wurde jedoch zu Fuss zurückgelegt, mit der Hilfe einheimischer Lastenträger, die sich von Etappe zu Etappe abwechselten, um das Gepäck und manchmal sogar die Männer zu tragen. Ihre Anstellung schien unvermeidlich, wann immer die Expedition in abgelegene Gebiete vordrang. Vor seiner Abreise erhielt Gide vom Kolonialministerium einen «offiziellen Auftrag», der ihm das Recht verlieh, diese vor Ort rekrutierten Träger überhaupt erst in Anspruch zu nehmen.

Porteurs d’expédition
Listen der Träger der Expedition von André Gide und Marc Allégret in Kamerun und in das Französisch-Äquatorialafrika 1925–1926, zusammen mit einem Passierschein und einer Quittung (Fonds André Gide, Schweizerisches Literaturarchiv, NB, Bern) (Foto: Simon Schmid, NB)

Die im Nachlass Gides im Schweizerischen Literaturarchiv aufbewahrten Listen der Träger geben einen guten Einblick in die konkreten Bedingungen der Expedition und verdeutlichen den grossen logistischen Aufwand: Auf jeder Etappe waren durchschnittlich siebzig bis neunzig Träger erforderlich, um den Transport des Materials zu gewährleisten. Neben den Namen der Träger sowie der auf der Rückreise passierten Ortschaften im heutigen Kamerun enthalten sie vor allem Angaben zu den Löhnen, die den Trägern am Ende jeder Etappe ausgezahlt wurden. Oft wurde der Betrag durch ein «Matabiche» (Trinkgeld) aufgerundet.

Obwohl diese Praxis zunächst selbstverständlich erscheint, zeigt das Tagebuch des Schriftstellers doch, in welche Gewissensnöte sie ihn brachte. Denn die Listen erinnern nicht nur an die Unwegsamkeiten der Reise, sondern zeugen auch ganz konkret vom Stellenwert dieser Männer und von der Härte der Arbeit, die sie verrichten mussten. Während es unter den Kolonisten unbestritten zu sein schien, sich das Gepäck von ihnen tragen zu lassen, prangerte Gide dies in seinem Reisetagebüchern «Le Voyage au Congo» (1927; «Kongoreise») und «Le Retour du Tchad» (1928; «Rückkehr aus dem Tschad») als Missbrauch an. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, sich wohl oder über selbst an dieser Praxis zu beteiligen.

In seinen Notizen kommt Gides schlechtes Gewissen jeweils dann zum Ausdruck, wenn er die Probleme anspricht, die durch den systematischen Einsatz der Träger entstanden: die Erschöpfung einiger der Männer, die Lasten von zwanzig bis fünfundzwanzig Kilogramm über durchschnittlich dreissig Kilometer tragen mussten; die Gefahr einer Hungersnot in den Dörfern, wenn sie zur Erntezeit eingezogen wurden; die unterschiedlichen und manchmal unfairen Bezahlpraktiken je nach Verwaltungsgebiet. Geplagt wurde sein Gewissen schliesslich auch durch die Anwesenheit sogenannter «Tipoyeurs» – Einheimischer, die den weissen Reisenden in einem «Tipoye» (ein einfacher Tragestuhl) trugen –, auf die der Schriftsteller zumeist zu verzichten suchte. Diese Zwänge hatten Einfluss auf Gides Sicht auf die Reise: «Die Frage des Tragens und sogar die der Tipoyeurs trüben mir die Reise; den ganzen Weg über kann ich nicht aufhören, daran zu denken.» Er ging sogar so weit, von einer Form der Sklaverei zu schreiben: «Vorübergehende Sklaverei, das mag ja sein; aber dennoch Sklaverei.»

Auf späteren Seiten in seinem Tagebuch scheint Gide sein Schuldgefühl wieder zu relativieren, indem er das Tragen als einzige Transportmöglichkeit in bestimmten Regionen rechtfertigt. Die handschriftlichen Listen in seinem Nachlass erinnern jedoch daran, dass es sich keineswegs um eine Lappalie handelte: Gide war sich dessen bewusst, dass sich hinter den Zahlen der Reise auch Menschen verbargen, deren vergessene Namen nun durch diese Blätter die Zeit überdauern.

André Gide (1869–1951) ist eine der bedeutendsten literarischen Persönlichkeiten der französischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Als Romancier, Dramatiker und Essayist engagierte er sich auch für die entscheidenden Fragen seiner Zeit, durch seine Reisen in den Kongo und in die UdSSR sowie durch seine moralischen und politischen Stellungnahmen. 1947 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. André Gides Nachlass befindet sich seit 2025 im Schweizerischen Literaturarchiv.

Letzte Änderung 03.12.2025

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