Kunst für Kinder?

Adelheid Duvanel, bekannt als Autorin faszinierender Kurzgeschichten, hat für ihre Tochter ein Bilderbuch geschaffen, das eine vergessene Facette ihres Werks greifbar macht.

Von Joanna Nowotny

«Kinder. Immer wieder Kinder. Adelheid Duvanels Werk dreht sich nur um sie», war 1996 in einem Nachruf auf die Basler Schriftstellerin zu lesen. Tatsächlich wimmelt es in Duvanels eindrücklichen bis verstörenden Kurzgeschichten nur so von Kinderfiguren wie der versponnenen «Taddea» (1963), die am liebsten mit einem Hydranten spricht, dem sie Kleider anzieht. Im Nachlass im Schweizerischen Literaturarchiv aber findet sich Duvanels wohl einziges Werk, das tatsächlich für Kinder geschrieben ist: die traurig-tröstliche Bildergeschichte «Käthy und Peter». Von ihr aus führen Fäden in Duvanels leidvolle Biografie ebenso wie in ihr Werk, das vielseitiger ist, als bisher zu erahnen war.

Aufgetaucht Adelheid Duveanel
Das Bilderbuch «Käthy und Peter», das Adelheid Duvanel 1968 für ihre vierjährige Tochter verfasste, befindet sich in ihrem Nachlass im Schweizerischen Literaturarchiv. (Foto: NB, Simon Schmid)

In «Käthy und Peter» bedient Duvanel neben dem Text ein Medium, in dem sie sich ursprünglich künstlerisch zuhause fühlte: die Zeichnung respektive Malerei, ihre «Lieblingsbeschäftigung» als Kind und Jugendliche, wie es in einem autobiografischen Text heisst. Doch der Ehemann Joe Duvanel, selber Kunstmaler, verbot seiner Frau nach der Hochzeit 1962 das Malen. Die Bildergeschichte wurde laut Titelblatt 1968 für Duvanels vierjährige Tochter «Adelheidli» verfasst: Dass sie nicht unter das Verbot fiel, wird wohl daran liegen, dass Joe Duvanel Kunst für Kinder nicht ernst nahm. Erst nach der Scheidung in den Achtzigern begann Adelheid Duvanel wieder für sich zu malen und zu zeichnen.

Zur Entstehungszeit der Bildergeschichte lebte Adelheid Duvanel mit Mann und Tochter nach einem hoffnungsvollen Auf- und Ausbruch aus der konventionellen Schweiz auf der Baleareninsel Formentera. Was sich traumhaft anhört, wurde für Duvanel zum Albtraum: Joe Duvanel zog in einer anderen Ecke der Insel mit seiner schwangeren Geliebten zusammen, wohin Duvanel und ihre kleine Tochter jeden Tag bei grösster Hitze pilgern mussten, da sie kein Geld für Mahlzeiten hatten. Die prekäre familiäre Situation spitzte sich nach Rückkehr in die Schweiz nur zu. Die Tochter, der instabilen, teilweise gewaltvollen Familiensituation nicht gewachsen, rutsche schon mit vierzehn Jahren in die Drogen und erkrankte später an Aids. Es gehört zum Unfassbaren in Duvanels Leben, dass sie bis an ihr Lebensende für die Tochter sorgte und jedes durch Lesungen und Verkäufe verdiente Honorar sofort an Dealer weitergeben musste. Umso erstaunlicher, dass sie zwischen 1979 und 1995 sieben Bände mit faszinierend-dichten Kurzgeschichten veröffentlichen konnte.

So bunt und damit vielleicht kindlich «Käthy und Peter» auch wirkt: Duvanel erzählt schon 1968 eine nicht nur fröhliche Geschichte. Eine schwer kranke Mutter kann zu Weihnachten keine Geschenke besorgen und kein Bäumlein schmücken. Die zwei Kinder sind voll Kummer, finden aber über eine goldene Leiter den Weg in den Himmel, wo sie den lieben Gott und die Engel treffen. Reich beschenkt werden sie auf die Erde entlassen. Ersonnen wurde dieses Märchen, das an die Welt Hans Christian Andersens erinnert, von der achtjährigen Adelheid Duvanel, aufgeschrieben und -gezeichnet ein Vierteljahrhundert später, und geschätzt werden kann dieses farbenfrohe Zeugnis einer Künstlerin mit Doppelbegabung erst jetzt.

Adelheid Duvanel (1936–1996) verfasste zahlreiche eindrückliche Kurzerzählungen, die 2021 unter dem Titel «Fern von hier» gesammelt erschienen sind. Im Zentrum stehen oft Aussenseiterfiguren mit ihrer ganz eigenen Art, die Welt zu sehen. Soeben ist eine reich illustrierte Ausgabe des «Quarto» erschienen, der Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs, die erstmals das Text- und Bildwerk von Duvanel nebeneinanderstellt und in der «Käthy und Peter» in Gänze abgedruckt ist

Letzte Änderung 29.08.2024

Zum Seitenanfang

https://www.nb.admin.ch/content/snl/de/home/ueber-uns/sla/einsichten-aussichten/einsichten---aussichten-2024/kunstfuerkinder.html