Matthias Zschokkes «Unvollendete»

Über zwei Jahrzehnte hat Matthias Zschokke an «Die 3 schönen Müller» gearbeitet – wer den nicht realisierten Film sehen will, muss ins Archiv steigen.

Von Lucas Marco Gisi

Diesen Herbst ist der neue Film von Matthias und Adrian Zschokke über ihren Urururgrossvater Heinrich erfolgreich in den Kinos angelaufen. Doch um einen Film zu realisieren, braucht es nicht nur einen guten Stoff, sondern auch reichlich Geld und viel Geduld. Davon zeugt das «perpetuum-mobile-Filmprojekt», wie es Matthias Zschokke rückblickend nennt, das er ab 1986, nach seinem Debüt als Filmregisseur mit «Edvige Scimitt», entwickelt hat: erst unter dem Titel «Die 3 schönen Müller», dann als «Engel gefallen», schliesslich als «Die Unvollendeten», um es – nomen est omen? – wegen der gescheiterten Finanzierung 2008 fallen zu lassen.

Aufgetaucht Zschokke
In den Storyboard-Skizzen und der Titelzeichnung für das Produktionsdossier nimmt der Film «Die 3 schönen Müller» konkrete Form an. (Foto: NB, Simon Schmid)

Jahrelang an einem Film zu arbeiten, um ihn dann «ins archiv stellen zu können», komme ihm – so Zschokke – «traurig» vor. Doch dass der nicht realisierte Film heute wenigstens dort «angeschaut» werden kann, ist ein Glücksfall. Die zehn Drehbuchfassungen, die Storyboards und Produktionsdossiers sowie die Korrespondenz mit Produzenten und Förderinstitutionen füllen mehrere Archivschachteln und erlauben es, sich den Film gleichsam als «Kopfkino» vor Augen zu führen, aber auch die Rahmenbedingungen für eine Filmproduktion nachzuvollziehen.

In einer Pianobar unterhält die Band «Die 3 schönen Müller» allabendlich das Publikum. Diese haben «eine grosse Zukunft als Liedinterpreten hinter sich» und geben nun statt Schubert «deutsche Cowboylieder» zum Besten. In der Bar projizierte Rückblenden lassen die guten alten Zeiten nochmals aufleben, während den sentimental gewordenen Musikern versprochen wird, in einer grosse Retroshow mit «Altstars» doch noch beim grossen Publikum zu reüssieren. Durch die Geschichte führt die Zuschauenden eine in den Sänger verliebte Erzählerin. Der vertrackten Beziehungsgeschichte entspricht eine verschachtelte Erzählweise, deren filmische Umsetzung Zschokke in einem Storyboard anschaulich und ausdrucksstark ins Bild gesetzt hat. Jede der drei Handlungsebenen sollte unterschiedlich gefilmt werden, etwa durch eingespielte Super-8-Aufnahmen. Damit werden wiederum die Produktionsbedingungen für einen Film und die filmgeschichtliche Entwicklung im Film selbst reflektiert.

Enthusiastisch berichtet Zschokke im Sommer 1986 der ZDF-Redaktion von dem entstehenden Drehbuch, das «die welt erobern» werde. Doch obwohl er in den folgenden Jahren mit verschiedenen Produktionsfirmen und Produzenten zusammenspannt, scheitert das Projekt immer wieder an der fehlenden Unterstützung durch die Fernsehanstalten und Filmförderstellen. Bemängelt wird von diesen die zu komplexe Konstruktion und die Publikumsferne des Films. Zschokke wehrt sich gegen diese Vorwürfe und verteidigt gegenüber dem Produzenten Ottokar Runze seinen «traum», eine «verständliche, gehobene, neue komödie» zu schaffen. Ende 1991 zeigt er sich sogar bereit, einen «Notstandsfilm» mit den bereits eingeworbenen Mitteln zu realisieren und die Produktionskosten durch Verwendung der Videotechnik drastisch zu senken. Trotzdem muss er das Projekt 1992 «vorläufig auf Eis legen», versichert aber dem Hamburger Filmbüro, dass er den Film «eines Tages» drehen werde. Und die Band spielt fürs erste auf Papier weiter.

Der in Bern geborene Schriftsteller und Filmemacher Matthias Zschokke hat zahlreiche Romane veröffentlicht, zuletzt «Der graue Peter» (2023), und wurde u.a. mit dem Grossen Berner Literaturpreis ausgezeichnet. Er lebt in Berlin. Die 52. Ausgabe der Zeitschrift «Quarto» des Schweizerischen Literaturarchivs widmet sich nicht realisierten Filmen.

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Letzte Änderung 19.12.2023

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