Der Fürsprecher des Valle Maggia

Der Tessiner Autor Plinio Martini war ein Pionier der Umweltbewegung – das bezeugt sein Leben ebenso wie sein Werk.

Von Marica Iannuzzi

Plinio Martini wurde 1923 in Cavergno im Maggiatal geboren, wo er lebte und während mehr als dreissig Jahren als Lehrer tätig war. Neben dem Unterricht beschäftigte er sich aktiv mit lokalen gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Herausforderungen: Unter seinen vielen Engagements war ihm der Einsatz für den Schutz der Landschaft und gegen die Ausbeutung der Gewässer besonders wichtig. Seine Appelle im Interesse der Gemeinschaft und seine schriftlichen Interventionen wie etwa gegen die Stauseen in den 1950er-Jahren wurden auch in den Jahrbüchern der regionalen und politischen Institutionen vermerkt. 

Martini Maggiatal
Die Fischerei, die Berge, das Leben im Maggiatal: All das war wichtig für Plinio Martinis Schreiben, etwa den Roman «Il fondo del sacco». Foto: NB, Simon Schmid

Mit den Jahren übernahm Martini immer mehr Aufgaben und wurde unter anderem Mitglied des Fischereiverbandes und Präsident von Pro Vallemaggia. Martinis Verbundenheit mit seiner Region wird durch die Protokolle verschiedener lokaler Vereine deutlich, von denen einige in seinem Nachlass überliefert sind. Dieser enthält auch zahlreiche Fotografien, die ihn im Alltagsleben des Maggiatals zeigen, beim Fischen, bei der Aussaat, alleine oder in Gesellschaft, oder etwa die anonyme Zeichnung eines Wasserfalls im Maggiatal. Die Fischerei, die Berge und überhaupt die ganze Natur waren mehr als blosse Leidenschaften, für die sich Martini ein Leben lang schreibend und handelnd einsetzte.

Zahlreich sind auch die polemischen Schriften zu Fragen der Ökologie, die sich letztlich als Stilübungen und als Vorwegnahme der Themen seiner literarischen Werke lesen lassen. Das gesellschaftliche Engagement für seine Mitmenschen und in seiner Umgebung war die Grundlage für Martinis Erzählprosa, für die ihn die Leserinnen und Leser kennen und schätzen lernten, während er sich selbst nie als Literaten betrachtete. 

Zentrales Thema seines ersten Romans von 1970 «Il fondo del sacco» («Nicht Anfang und nicht Ende») ist die Emigration aus dem Tal, zu der die harten Lebensbedingungen zwingen. Um diese realistisch abzubilden, nutzte der Autor auch den Dialekt. Martini war es wichtig, nicht nur in seinem Herkunftsort, sondern auch in seiner eigenen Sprache leben zu können. Der Roman wurde auch ausserhalb des Tessins begeistert aufgenommen, was die vielen Neuauflagen und Übersetzungen bis in die Gegenwart belegen. Das gilt auch für das 1976 erschienene «Requiem per zia Domenica» («Requiem für Tante Domenica»), Martinis zweiten Roman, in dem er seinen Themen treu bleibt. Er erzählt darin weiter von seiner Welt, vor deren Hintergrund sich die Motive um Liebe, Religion und Tod verknüpfen, mischt hier aber Sprachen und Formen und gestaltet Gesehenes und Gehörtes neu. 

Das Erbe des in einem kleinen Tessiner Dorf geborenen Autors gelangte schliesslich bis in die Hauptstadt der Schweiz: Martinis Nachlass befindet sich seit 2022 im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern. Er umfasst sein gesamtes literarisches Schaffen von den ersten Gedichten aus den 1950er-Jahren bis zu den posthum erschienenen Werken sowie zahlreiche Dokumente, die von seinem öffentlichen Engagement zeugen. Martini war der erste Tessiner Autor, der die Bedeutung von Traditionen als Quelle und Mittel für das Weitergeben der Volkskultur bewusst machte. Mit seinem innovativen Stil und der Authentizität der Stoffe erneuerte er die Erzählliteratur der italienischsprachigen Schweiz. Seine kritische Haltung und die Stellungnahmen zur Landschaftsentwicklung in den Tessiner Tälern haben zu einer Debatte beigetragen, die noch heute geführt wird.

Plinio Martini, 1923 in Cavergno (TI) geboren, lebte bis zu seinem frühen Tod 1979 im Maggiatal. Neben seiner Arbeit als Lehrer war er im gesellschaftlichen und politischen Leben des Tals ausserordentlich aktiv. Der Roman «Il fondo del sacco (Nicht Anfang und nicht Ende)», mit dem er sich 1970 als Schriftsteller etablierte, ist mit über 25 Auflagen eines der meistgelesenen und meistübersetzten Bücher aus dem Tessin.

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Letzte Änderung 28.09.2023

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