Unter den Architekten, die sich um 1900 im Stile-Schmelztiegel des Historismus in Bern einen Namen machen, ragt Henry Berthold von Fischer (1861–1949) als markante Figur hervor. 1555 Pläne im Eidgenössischen Archiv für Denkmalpflege zeugen von seinem Schaffen vorwiegend im Stil des Neubarock und öffnen den Blick auf grossbürgerliches Wohnen.
Von Kathrin Gurtner
Im Sommer 1896 regnet es in Strömen. In Genf öffnet die Landesausstellung, und als einer der Hauptanziehungspunkte wird das aufwändig gestaltete «Villlage Suisse» gefeiert. Auf einem künstlichen Berg mit grasenden Kühen und einem Wasserfall, der sich idyllisch aufs Expo-Gelände ergiesst, steht ein nachgebautes Bergdorf, das für den boomenden Schweizer Chaletstil wirbt. Wegen des schlechten Wetters bleiben die erwarteten Besuchermassen freilich aus, das Interesse der Bevölkerung hält sich in Grenzen.
«Bauten Bureau H B v Fischer Architekt Bern»
Wenig interessiert, zumindest am propagierten Chaletstil, zeigt sich zur gleichen Zeit in Bern auch Henry B. von Fischer, der 1896 an der Laubeggstrasse 22 den Bau der Villa Palézieux plant. Zwar ist von Fischer durchaus und, wie ihm die Schweizerische Bauzeitung 1908 attestiert, wie kaum ein Zweiter an der «Anknüpfung an ortsübliche Traditionen» interessiert. Nur ist Tradition in der Stadt Bern der Barock- und nicht der Chaletstil, der sich an der klassizistischen Formensprache orientiert. Nachdem von Fischer zuvor in Luzern mit Neugotik experimentiert hat, findet er 1894 mit der Eröffnung des eigenen «Bauten Bureaus» in Bern zum neubarocken Stil, dem er bis zum Lebensende treu bleibt.
In Bezug auf den Gebäudetypus interessiert er sich hauptsächlich für die lokale, französisch geprägte, barocke Landhausarchitektur. Es verwundert darum nicht, dass er sich in seinem Schaffen fast ausschliesslich auf den Villenbau beschränkt. Die Wahl des Bautypus’ passt gemäss Conrad von Mandachs Würdigung von Leben und Werk schon grundsätzlich zu von Fischers Wesen und Auftreten: jenes eines «Gentilhomme» mit vornehmen Manieren und grosser Kenntnis der französischen Kultur und Sprache.
«Von O.K. Hartsteinsockel bis U.K. Hauptgesims»
Anhand der zahlreichen Pläne zur Villa Palézieux lässt sich Henry B. von Fischers Begeisterung für Neubarock, sein Sinn für Proportionen und sein minutiöser Arbeitsstil exemplarisch ablesen. Zwar ist die Villa inzwischen abgebrochen, umso mehr lohnt sich der Blick auf die qualitätsvollen Pläne.
Die Ansicht der Hauptfassade in Tusche zeigt die Villa mit seitlichen Veranda-Anbauten. Die Mittelachse mit dem leicht vorspringenden Risalit ist durch mehrere Elemente betont: nämlich durch den kurzen Treppenaufgang zum Eingangstor, durch den darüberliegenden Balkon und das grosse Bogenfenster, durch den halbrunden Giebel im gesprengten Dachgesims und schliesslich durch die mit seitlichen Voluten gefasste Lukarne im hohen Dach. Die Fassade ist mit der regelmässigen Verteilung der Fenster und den markanten Eckquadern klar gegliedert. Zahlreiche Schmuckelemente wie profilierte Fensterumrahmungen, Voluten und Vasen vervollständigen das herrschaftliche Bild. Beim Zeichnen der Pläne wird kein Aufwand gescheut. Jedes Detail ist sauber vermasst, wenn nötig farblich hervorgehoben und mit kurzen Notizen ergänzt: «Von O[ber] K[ant] Hartsteinsockel bis U[nter] K[ant] Hauptgesims 7m36», «Im rohen Mauergrund 12m18», etc.
Neben Grundrissen, Ansichten und zahlreichen Detailplänen zu Treppenaufgängen, Schreinerarbeiten und Kaminen sind prachtvolle Längs- und Querschnitte erhalten, die den Blick ins Innere der Villa Palézieux ermöglichen, als wäre sie ein Puppenhaus.
Pläne wie Wimmelbilder
Insgesamt zeichnet sich der Planbestand durch grosse Vielfältigkeit aus. Hinsichtlich der Bauaufgaben finden sich nebst Plänen zu Villen auch Pläne zu einem Mietshauskomplex, zu Kirchen, Geschäftshäusern und zu stadtplanerischen Projekten in Bern. Die Art der Zeichnungen und die Trägermaterialien sind ebenso divers wie die Bauaufgaben. Neben locker hingeworfenen Skizzen und elaborierten Bleistiftzeichnungen auf Papier gibt es beeindruckende Tuschzeichnungen auf Transparentpapier, zudem auch Plandrucke und Blaupausen.
Auffallend ist der Detailreichtum der einzelnen Pläne. Oft versammeln sich auf ein und demselben Papier Ansichten, Grundrisse, Schnitte und Detailzeichnungen der Gebäude; die Details ihrerseits werden auch wiederum in Ansicht, Schnitt und Grundriss dargestellt; dazu kommen die vielen Abmessungen und Erklärungen. So entfalten die Pläne mit ihrer visuellen Fülle eine fesselnde Wirkung wie frühe Wimmelbilder.
Henry B. von Fischer (geboren 1861, gestorben 1949 in Bern) stammt aus einer wohlsituierten Familie mit starkem Frankreich-Bezug. Von 1879 bis 1883 studiert er Architektur an der Ecole des Beaux-Arts in Paris. Nach Reisen u.a. nach Ägypten und England kehrt er 1886 in die Schweiz zurück. In Luzern arbeitet er bis 1892 im Architekturbüro von Heinrich Viktor Segesser. 1894 eröffnet er in Bern sein eigenes Architekturbüro. Nebst dem Bau von zahlreichen Villen, unter anderen zehn stilistisch einheitlichen, neubarocken Bauten rund um den Berner Thunplatz, kümmert er sich auch um Restaurierungsarbeiten. Die Bautätigkeit am Thunplatz krönt er 1912 mit der Wiederaufstellung der vor der Zerstörung geretteten spätbarocken Fassade der Bibliotheksgalerie von Niklaus Sprüngli.
Literatur und Quellen
- Schweizerischer Ingenieur und Architektenverein (Hg.): Berner Villen. Erbaut von H.B. von Fischer in Bern. In: Schweizerische Bauzeitung, Bd. 51/52, Januar 1908, S. 7-11.
- Conrad von Mandach: Henry Berthold von Fischer. Ein bernischer Architekt. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, Bd. 13/1951, S. 115-131.
Letzte Änderung 22.08.2024
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