Die Pilztafeln von Hans Walty – vom Augenschmaus zum Gaumenschmaus

In den Jahren 1913 bis 1944 zeichnet und aquarelliert Hans Walty mehrere hundert Tafeln mit Pilzdarstellungen. Diese illustrieren die vom «Verband Schweizerischer Vereine für Pilzkunde» verlegten und in mehreren Auflagen, Sprachen und Bänden erschienenen «Schweizer Pilztafeln». Sie boten seinerzeit die Grundlage dafür, giftige von zum Verzehr geeigneten Pilzen zu unterscheiden.

Von Christina Gerber

Walty Reizker
Pilztafel «Guter Reizker, essbar», aquarellierte Zeichnung von Hans Walty, 1917/18

In der Zeit von Juni bis Oktober prangen an vielen Restaurants Schilder, die ein «Steinpilz-Risotto» bewerben, einen «Salat mit gebratenen Pilzen» anpreisen oder die «Semmelknödel mit frischen Pfifferlingen an Rahmsauce» empfehlen. Wer sich selbst mit dem Zubereiten solcher Menüs versucht, weiss, dass diese nicht nur geschickter Kochkunst bedürfen, sondern auch gewisse Kenntnisse in der Pilzkunde voraussetzen. So bleiben Spaziergänge durch den Wald in dieser Zeit ein Muss, wenn man sich nicht des Pilzsortiments aus dem Supermarkt bedienen möchte. 

Bei solchen Streifzügen durch den Wald nehmen wir heutzutage Pilz-Apps zu Hilfe, die uns zur Unterscheidung von geniessbaren und giftigen Pilzen dienlich sein können. Manche Pilzkenner vertrauen auch auf ihre Sachkenntnisse, während andere Leute wiederum ein Bestimmungsbuch für Pilze zu Rate ziehen. 

500 Aquarelle von einheimischen Pilzen

Da zu Lebzeiten Hans Waltys weder Pilz-Apps noch handliche, populärwissenschaftliche Bestimmungsbücher vorhanden waren und Walty selbst ein sehr guter Pilzkenner war, hat er es sich zur Aufgabe gemacht, von zahlreichen Pilzen Zeichnungen anzufertigen. So sind im Zeitraum von 1913 bis 1944 mehr als 500 Aquarelle von einheimischen Pilzen entstanden. 

Diese zeigen die Farbe und Form der Fruchtkörper auf und enthalten zum Teil auch Abzeichnungen von mikroskopischen Aufnahmen. Meist werden die Pilze von der Seite und häufig zusätzlich von oben und unten abgebildet. Darüber hinaus ist oft die Beschaffenheit der Stiele, der Lamellen oder Röhren an der Hutunterseite und sogar der Sporen detailgetreu dargestellt. Neben den Pilzaquarellen hat der Hobby-Mykologe Walty ebenfalls ein erläuterndes Begleitbuch zu seinen Pilztafeln verfasst sowie die Pilze ihren Familien und Gattungen zugeordnet. Häufig hat Hans Walty den Fundort und das Datum auf seinen Tafeln festgehalten und vermerkt, ob die Pilze essbar, nicht geniessbar oder gar giftig sind.

Pilzbestimmungsbücher für jedermann

In den Jahren 1942 bis 1975 wurden die Tafeln vom «Verband Schweizerischer Vereine für Pilzkunde» verlegt und sollten als «Schweizer Pilztafeln für den praktischen Pilzsammler» dienen, wie die Bestimmungsbücher anfangs hiessen. Von diesen Pilztafeln sind in den 1940er bis 1970er Jahren fünf Bände in mehreren Auflagen entstanden. 

Walty Band
Doppelseite aus Band 1 der «Schweizer Pilztafeln für den praktischen Pilzsammler», 1942

Die ersten drei Bände sind mit Illustrationen Hans Waltys versehen. Als Grundlage der Abbildungen dienen Ausschnitte aus seinen Pilzaquarellen. Um das Sammeln von Pilzen in allen Sprachregionen zu erleichtern, wurden die «Schweizer Pilztafeln» ab dem Jahr 1947 ins Französische übersetzt und rund 20 Jahre später schliesslich ins Italienische.

Waltys Pilztafeln wecken die Vorfreude auf ein Pilzgericht

Die «Schweizer Pilztafeln» dienten in den 1940er bis 1970er Jahren jedermann zur «zuverlässigen Orientierung». Dank ihrer war es auch für Nicht-Mykologen möglich, erfolgreich auf Pilzsuche zu gehen und die Unterscheidung von essbaren und allenfalls giftigen Pilzen vorzunehmen. 

Walty Mordschwamm
Pilztafel «Mordschwamm, giftig», aquarellierte Zeichnung von Hans Walty, 1918

Zwar entsprechen die damals mehrfach aufgelegten Pilzbestimmungsbücher heute nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Stand. Ihre Vorlagen aber – die Aquarelle Hans Waltys – sind immer noch von Bedeutung. Eine solche Vielfalt an systematischen Zeichnungen von Pilzen, gepaart mit Detailtreue, Präzision und liebevoller Kolorierung gibt es kein zweites Mal! Dies honorierte schon die «Schweizerische Zeitschrift für Pilzkunde» 1948 in Gedenken an Hans Walty: «Aus der glücklichen Synthese einer minutiösen Kenntnis der Pilze mit erstklassigen technischen Fähigkeiten als Maler gelang es ihm, lebenswahre Pilztafeln zu schaffen, die das Herz jedes Mykologen immer wieder erfreuen.»

Wie damals vor 75 Jahren sind die Pilztafeln Waltys auch heute noch eine wahre Augenweide. Verleitet deren Anblick nicht dazu, selbst zum Korb zu greifen, einen Spaziergang in den Wald zu unternehmen und selbst ein Pilzgericht zuzubereiten?

Hans Walty (geboren 1868 in Gravellona im Piemont, gestorben 1948 in Zihlschlacht), 1878 Umzug nach Lenzburg, Besuch der Primarschule und der Bezirksschule, später Besuch der Kantonsschule in Aarau. Studium an und Absolvent der Kunstgewerbeschule Basel. 1888 Niederlassung in Leipzig, Arbeit in einem Atelier für Dekorationsmalerei. 1893 Heirat und Berufung an die Kunstgewerbeschule Zürich. 1901 Wechsel an die Kunstakademie in Dresden, später selbständiger Kunst- und Kirchenmaler in Leipzig. 1919 Rückkehr nach Lenzburg, Tätigkeit an der Bezirksschule als Zeichenlehrer von 1921 – 1932. In der Freizeit als Pilzforscher unterwegs. 1923 «Verein für Pilzkunde» verlegt erste Pilztafeln Waltys. 1942 Publikation des ersten Bandes der «Schweizer Pilztafeln», 1944 und 1947 Erscheinen des zweiten und dritten Bandes, jeweils mit Abbildungen Waltys.Etwa 500 der aquarellierten Pilz-Zeichnungen befinden sich im Archiv Hans Walty in den Beständen der Graphischen Sammlung der Schweizerischen Nationalbibliothek. Sie sind vollständig katalogisiert und liegen auch in digitaler Form vor.

Literatur und Quellen

Letzte Änderung 26.09.2023

Zum Seitenanfang

Kontakt

Schweizerische Nationalbibliothek
Graphische Sammlung
Hallwylstrasse 15
3003 Bern
Schweiz
Telefon +41 58 462 89 71
E-Mail

Kontaktinformationen drucken

https://www.nb.admin.ch/content/snl/de/home/ueber-uns/gs/augenweiden/pilztafeln.html