Ich bin kein Engel von Beruf

Im Vorfeld des für 1975 von der UNO ausgerufenen «Internationalen Jahres der Frau» veranstaltete die National-Zeitung in Basel einen Aufruf, Collagen zum Thema Frau einzureichen. Ein Teil dieser Arbeiten wurde später auch in Bern ausgestellt und befindet sich bis heute im Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek.

Von Beat Scherrer

Collage 1974
Collage «Ich bin kein Engel von Beruf»
von C.H. und A.T., 1974

Angst vor den gesellschaftlichen Zwängen einerseits und sich selbst Mut zu machen, daraus auszubrechen und einen eigenen Weg zu gehen, andererseits – dies könnte man als «Botschaft» dieser von zwei Oberstufen-Schülerinnen gestalteten Collage sehen. Wie zahlreiche andere Wettbewerbsbeiträge thematisiert dieses Werk einige Spannungsfelder, in denen sich Frauen damals befanden: Die selbstbestimmte Frau, die ihren eigenen Weg geht, versus die Frau, die eine helfende Rolle in der Gesellschaft erfüllt. Der Wunsch nach Auf- oder Ausbruch aus den bestehenden Verhältnissen versus die Annahme der Realität, in der man eingesperrt ist, verbunden mit der Angst, den (gesellschaftlichen) Erwartungen nicht zu genügen. 

Damals wie heute entsprach die Idealvorstellung von Frauen nicht der gelebten Realität und der Status quo wurde als einengend wahrgenommen. «Ich bin kein Engel von Beruf» trifft die damalige Selbstwahrnehmung sehr gut und die in der Collage verwendeten Schwarzweissbilder auf der einen und die farbigen Ausschnitte auf der anderen Seite unterstreichen die erwähnten Widersprüche. 

Fokus auf die Frau im Jahr 1975

Hayman
Plakat von d’Arcy Hayman zum
International Women's Year, 1975
© The d’Arcy Hayman Project

1975 war ein entscheidendes Jahr in der europäischen wie auch der schweizerischen Frauenbewegung. Auf internationaler Ebene wurde vor 50 Jahren von der UNO das «Jahr der Frau» ausgerufen und der heute etablierte, weltweite «Tag der Frau» am 8. März erstmals begangen. 

In Bern wurde der vierte «Schweizerische Kongress für die Interessen der Frau» vom 17. – 19. Januar 1975 unter dem Motto «Partnerschaft» abgehalten. Erst vier Jahre zuvor war das Frauenstimm- und wahlrecht auf nationaler Ebene eingeführt worden. Anlässlich des Kongresses von 1975 wurde dann die Volksinitiative «Gleiche Rechte für Mann und Frau» lanciert und die Forderung nach einem eidgenössischen Organ für Frauenfragen gestellt. Letztere führte bereits 1976 zur Einsetzung der «Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen», während der Gegenentwurf zur genannten Initiative erst 1981 angenommen wurde. Die schleppende Umsetzung dieses Gesetzes führte wiederum 10 Jahre später zum ersten Schweizer Frauenstreik am 14. Juni 1991. 

Collagen-Wettbewerb und -Ausstellung

Wettbewerbsausschreibung
Wettbewerbsausschreibung in der Beilage «nz-panorama», National-Zeitung vom 24. August 1974

Im Hinblick auf das «Jahr der Frau» ruft die National-Zeitung in Basel in ihrer Beilage «nz-panorama» am 24. August 1974 mit dem nebenstehenden Text einen Wettbewerb für «feministische Collagen» aus. Es wurden 321 Beiträge eingereicht, welche dann im Herbst in der Eingangshalle der National-Zeitung ausgestellt wurden. Ob wohl die als Belohnung versprochene «afrikanische Kleinplastik» zur regen Teilnahme verhalf?! 

Bemerkenswert aus heutiger Sicht ist auch die gewählte Sicht- und Ausdrucksweise, beginnend mit dem hier abgedruckten Aufruf zum Gestalten von Collagen, der als Gegenpol zu den vielen theoretischen Beiträgen zur «misslichen Lage der Frau und ihrem Befreiungskampf» verstanden wurde. In einer späteren Ausgabe wird die Schöpfungsgeschichte erwähnt, da die Redaktion es «komisch» fand, dass die erste eingegangene «Kleberei» von einem Mann stammte. 

Die Schweizerische Landesbibliothek (heute: Nationalbibliothek) zeigte dann im Januar 1975 eine Auswahl dieser Collagen zusammen mit Fotografien, Plakaten, Zeitschriften, Porträts und weiteren Dokumenten im Rahmen der «Ausstellung zum Jahr der Frau und zum 4. Schweizer Frauenkongress in Bern». Knapp 90 dieser Originalcollagen befinden sich heute in den Spezialsammlungen der NB. 

Groove der 70er Jahre

Triptychon
Collage «Triptychon» von H.B., 1974

Doch zurück zu den Collagen von 1975. Wie bei vielen anderen Beiträgen ist auch auf diesem, als Triptychon gestalteten Bild der Groove der 1970er-Jahre deutlich spürbar. Schönheit und Schönheitsprodukte, Jungsein und Jungbleiben, Gesundheit und gesunde Ernährung, Freude an Kindern, Blumen und der Natur – diese Themen werden, mehr oder weniger klischeehaft, immer wieder aufgenommen. Sie vermitteln einen bildlichen Eindruck einer damals offenbar verbreiteten Wahrnehmung des Frauenbildes und der Frauenrolle, sowohl aus Sicht von Frauen als von Männern. Auch Letztere stehen im Allgemeinen nicht im Verdacht von Beruf Engel zu sein, doch offenbar hatten sie etwas zum Thema zu sagen: mindestens vier der zehn prämierten Collagen stammten von Männern!

Literatur und Quellen

Letzte Änderung 11.02.2025

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