Erschliessungsprojekt zur Gelehrtenbibliothek von Jonas Fränkel

Fränkel Bibliothek
Jonas Fränkels Bibliothek in seinem Arbeitszimmer in Hünibach bei Thun (Foto: NB, Simon Schmid)

2022 konnte das Schweizerische Literaturarchiv (SLA) nach dem Nachlass von Jonas Fränkel auch dessen Gelehrtenbibliothek integral übernehmen. Sie bildete das zentrale Arbeitsinstrument für seine editorische Tätigkeit, die der jüdische Philologe aufgrund seiner politischen und akademischen Ausgrenzung weitgehend abseits vom zünftigen Universitäts- und Kulturbetrieb unternehmen musste. Die Bibliothek bildet demnach eine einzigartige Quelle für die Rekonstruktion eines Kapitels verschollener Literatur- und Philologiegeschichte des 20. Jahrhunderts.

Seit Oktober 2023 wird die Bibliothek, unterstützt durch Drittmittel, detailliert erschlossen. Parallel dazu entsteht eine Dissertation zu Fränkels Bibliothek im Rahmen des SNF-Projekts «Kryptophilologie. Jonas Fränkels ‹unterirdische Wissenschaft› im historischen und politischen Kontext». 

Aus vier Gründen ist diese Bibliothek für die Forschung äusserst bedeutsam:

  • Die Bibliothek bildet ein Krypto-Archiv komplementär zum Nachlass von Jonas Fränkel: Der Philologe nutzte seine Bibliothek nicht nur als Wissensquelle, sondern auch als Ablage und Depot für Briefe, eigene Notizen, Entwürfe und zahlreiche Zeitungsartikel. Ein nicht geringer Anteil seines Nachlasses steckt somit in der Bibliothek und wird im Rahmen des Erschliessungsprojekts auf Dokumentebene erfasst. 
  • In der Bibliothek lässt sich Jonas Fränkels philologische Tätigkeit in nuce nachvollziehen: Der Philologe arbeitete intensiv mit seinen Büchern, was an unzähligen Annotationen und akribischen Textstudien materiell ersichtlich ist. Insbesondere an den Werken jener Autoren, mit denen er sich editorisch hauptsächlich befasste, namentlich Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine, Gottfried Keller und Carl Spitteler, zeigt sich anhand seiner Bearbeitungsspuren die philologische Vorgehensweise und Gelehrtenpraxis Fränkels. 
  • Die Bibliothek spiegelt das intellektuelle Netzwerk des Philologen: In der Bibliothek laufen in Form von Widmungen und eingelegten Briefen die Fäden diverser Kontakte von Jonas Fränkel zusammen. Der Austausch mit Fachkollegen ist ebenso dokumentiert wie die Berufskorrespondenz mit Verlagen und Redaktionen als auch die Ergebnisse von schriftlich geführten Recherchen mit Spezialisten und Wissensinstitutionen. 
  • Die Bibliothek bietet Einblick in Fränkels Auseinandersetzung mit dem Judentum: Während sich Fränkel aufgrund der politischen Stimmungslage seit 1933 öffentlich kaum zu jüdischen Themen äusserste, lässt sich sein anhaltendes Interesse an diesem Themenkomplex in der Bibliothek nachvollziehen. Nicht nur beinhaltet sie eine Abteilung zu jüdischen Themengebieten, anhand von Lesespuren im gesamten Buchbestand zeigt sich ausserdem eine klare Fokussierung auf Aspekte des Judentums sowie eine wache Sensibilität für antisemitische Untertöne. 

Die detaillierte Erschliessung der Gelehrtenbibliothek inklusive aller Bucheinlagen in Form von Briefen, Notizzetteln, Zeitungsausschnitten und Annotationen ermöglicht nicht nur gezielte Zugriffe auf die formulierten Forschungsbereiche, sie bietet zudem in toto eine Kartographie von Jonas Fränkels Denkraum über seine Publikations- und Editionstätigkeit hinaus. Die Privatbibliothek eines Gelehrten lässt sich als ausgelagertes Gedächtnis verstehen, als prospektiven Wissensspeicher, in dem auch aufbewahrt ist, was sich zu Lebzeiten nicht (mehr) realisieren liess.
 

Projektleitung: Prof. Dr. Andreas Kilcher (ETH Zürich), PD Dr. Irmgard Wirtz (SLA)

Projektorganisation: Victoria Laszlo (ETH Zürich), Dr. Magnus Wieland (SLA)

Projektmitarbeitende: Fabienne Ziegler (SLA/ETH Zürich), Natalie Reusser (SLA/ETH Zürich)

Kontakt

Schweizerische Nationalbibliothek
Schweiz. Literaturarchiv
Irmgard Wirtz
Hallwylstrasse 15
3003 Bern
Schweiz
Telefon +41 58 462 89 72
Fax +41 58 462 84 08
E-Mail

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