Eingepackt in Pergament: Die Entstehungsgeschichte einer zwei Jahrhunderte umfassenden Bibliografie

1904 wurde die «Bibliographie Rabelaisienne» veröffentlicht, in der die Werkausgaben von François Rabelais von 1532 bis 1711 verzeichnet sind.

Von Laurane Crettenand

Es ist ein merkwürdiges Dossier mit Arbeitsmaterialien, das sich im Nachlass des Westschweizer Gelehrten Pierre-Paul Plan findet. Gemäss Titel auf dem Pergamenteinband beinhaltet es die «Heineccii opera omnia, Tom. II». Vom Rechtswissenschaftler Johann Gottlieb Heineccius, dessen Sämtliche Werke erstmals 1744 veröffentlicht wurden, fehlt darin aber jede Spur. Stattdessen finden sich 300 lose Blätter, die alle einen Schriftsteller zum Thema haben: François Rabelais.

Rabelaisienne
Neben Dokumenten zu Charles Marty-Laveaux bewahrte Plan im Arbeitsdossier für seine Bibliographie Rabelaisienne auch eine Zeichnung auf Pauspapier auf, deren Herkunft und Urheber ein Rätsel bleiben.» (Foto: Simon Schmid, NB)

Die einmalige Sammlung umfasst handschriftliche Lesenotizen, Literaturverzeichnisse, Zitate, Zeitungsausschnitte, Auszüge aus Korrespondenzen, Empfangsbestätigungen und Autografen; hunderte von Dokumenten, die als Material für die Bibliographie Rabelaisienne dienten, die Pierre-Paul Plan 1904 herausgab.

Pierre-Paul Plan (1870–1951) stammte aus einer gebildeten Genfer Familie und verliess die Schweiz schon 1891 in Richtung Frankreich, um eine Karriere als Journalist zu verfolgen. Er fand Anstellung beim «Mercure de France» und arbeitete auch für die Pariser Zeitschriften «Le Journal des débats» und «Le Temps». Sein Leben in Frankreich brachte ihn in Kontakt mit berühmten Zeitgenossen wie Stéphane Mallarmé, Paul Verlaine und Guillaume Apollinaire. So zeigt ihn eine Fotografie aus der Zeit um die Jahrhundertwende auf dem Anwesen des Bildhauers Auguste Rodin in Meudon, anlässlich eines Konzerts der polnischen Cembalistin Wanda Landowska.

Der vielseitig begabte Plan war als Übersetzer, Literaturkritiker, Historiker und Herausgeber tätig. Er übertrug etwa Una donna (1906) und Il Passagio (1919), zwei Werke der italienischen Schriftstellerin Sibilla Aleramo (1876–1960). Von 1924 bis 1934 gab er die Correspondance Générale de J.-J. Rousseau heraus. Darüber hinaus interessierte er sich für Racine, La Fontaine, Molière und Corneille und wandte er sich dem 16. Jahrhundert und der Person Rabelais’ zu.

In der «Anmerkung für den Leser» kommentierte Plan seine Bibliographie Rabelaisienne wie folgt: «Meine erste, ehrgeizige Absicht war, eine allgemeine Bibliografie zu erstellen, die nicht nur die alten, sondern auch die modernen Editionen sowie die verschiedenen weiteren Werke, zu denen der Name und das Œuvre des Meisters François Anlass gegeben hatten, aufzeichnen sollte.» In einem ersten Schritt wollte Plan also ein Verzeichnis anfertigen, das die Rabelais-Textausgaben vom 16. bis zum frühen 20. Jahrhundert zusammenfasste. 

1902 erhielt Plan Kenntnis von mehreren unveröffentlichten Dokumenten, die vom wenige Jahre zuvor verstorbenen Rabelais-Forscher Charles Marty-Laveaux (1823–1899) zusammengestellt worden waren. Das veranlasste Pierre-Paul Plan, die Rabelais-Ausgaben nicht wie ursprünglich projektiert in ihrer Gesamtheit zu erfassen, sondern seine Bibliographie Rabelaisienne auf den Zeitraum von 1532 bis 1711 zu konzentrieren und für die Zeit danach «die von Herrn Ch. Marty-Laveaux hinterlassenen Materialien später zu veröffentlichen, unter dem Namen ihres Autors, und nachdem ich sie nach bestem Wissen und Gewissen erweitert und überarbeitet habe». 

Das letzte Blatt des Materialiendossiers ist der Entwurf eines Briefs von Pierre-Paul Plan von 1902, der an Madame Marty-Laveaux, die Witwe des Gelehrten, gerichtet ist. In der kurzen Nachricht kündigt er ihr an, dass er selbst eine «Bibliographie Rabelaisienne» verfasse, und schlägt ihr ein Treffen vor, um die «zahlreichen unvollendeten Einträge» ihres verstorbenen Mannes vervollständigen zu können. Pierre-Paul Plan starb 1951, ohne die von Marty-Laveaux hinterlassenen Materialien veröffentlicht zu haben. Zurück blieb seine auf die Zeit bis 1711 beschränkte Bibliographie Rabelaisienne, und mit ihr das eigentümliche Dossier im Literaturarchiv, das von der Arbeit und den Ambitionen des Bibliografen zeugt.

Letzte Änderung 30.04.2025

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