«Sie werden wie Schmetterlinge aus einer Puppe fliegen»

Eine neue Brief-Edition zeichnet die Spur von Emmy Hennings Lebensreise: Vom Wandertheater in die Cabarets der Städte bis zur Dada-Bewegung 1916 in Zürich und zur Niederlassung im Tessin.

Von Irmgard Wirtz

Hermann Hesse kündigte bereits 1928 eine künftige Edition von Emmy Hennings Briefen in der Kölnischen Zeitung an: «Man wird sie ausgraben wie Pompeji (…) man wird sich rasch einig werden, dass seit der Bettina Brentano solche Briefe nicht mehr geschrieben worden sind.» Hesse wusste, wovon er sprach, hatte er doch Hunderte Briefe von Hennings empfangen – und sehr viel weniger an sie geschrieben. 

Schmetterling
Korrespondenz von Emmy Hennings und Hugo Ball mit einem blauen Schmetterling (Foto: NB, Simon Schmid)

Die neue Auswahledition der Briefe Emmy Hennings folgt dem kalendarischen Prinzip, wählt für jedes Jahr einschlägige Briefe. Daraus ergibt sich kein vollständiges, aber ein vielfältiges Porträt ihrer Talente und Beziehungen: Emmy Hennings als Schauspielerin, Mutter einer Tochter, Künstlerin im Cabaret und im Gefängnis, Geliebte vieler und als die Eine für Hugo Ball, als Reisejournalistin und Autorin. Der erste der auf zwei Bände angelegten Edition bis zu Hugo Balls Tod 1927, der das Briefwerk erstmals ungekürzt präsentiert, zeugt von der Ambivalenz der Freiheit zwischen hochfliegenden Hoffnungen und existenzieller Unsicherheit. 

Nur wenige Dokumente sind aus den Anfängen beim Wandertheater überliefert wie etwa eine Postkarte aus Birnbaum 1906, auf der sie anspielungsreich notierte: «Ich bin die Rose in der Schmetterlingsschlacht, ich bin schön und alternierend die Jungfrau». Hennings spielte zu dieser Zeit in Hermann Sudermanns gleichnamiger Komödie, «Die Schmetterlingsschlacht», die jüngste Tochter Rose; die Karte ist ein Souvenir, das sie Jahrzehnte später Ninon Dolbin, Hermann Hesses dritter Ehefrau, widmete. 

In ihren frühen Briefen verbindet sich die ungestüme Hennings mit den Literaten der Avantgarde wie Ferdinand Hardekopf, Hugo Ball, Tristan Tzara und Rudolf Junghanns, daneben mit ihrer Patchworkfamilie in Norddeutschland, später im Tessin und aus Italien. 

Eindringliche Briefe in grosser fliegender Handschrift gelangten zu Kriegsende 1918 von Seepferd (Emmy) aus Ascona an Steffgen (Hugo Ball), kollagiert mit dem emblematischen blauen Schmetterling. Sie sind das Lebenselixier wider die Not aller Tage und Balls Krankheit. Haschend nach Übersetzungsarbeiten und kleinen Zeitungsartikeln lebten Emmy Hennings und Hugo Ball ohne Papiere und feste Bleibe in der Schweiz, erprobten verschiedene Niederlassungen, wie die Poststempel der Absender in den Kriegs- und Nachkriegsjahren verdeutlichen. Sie wohnten wie die Schmetterlinge interimistisch auch an der Marzilistrasse 23 in Bern, wo Hugo Ball und Emmy Hennings 1920 heirateten. 

Emmy Hennings verfertigte im Wechsel zahlreiche Bitt- und Dankesbriefe an Alice Leuthold, das Warenhaus Jelmoli in Zürich und auch an einige Mäzene Hermann Hesses. Hennings Tonlage ist eindringlich in den Verhandlungen mit den Behörden, professionell mit Redaktionen und Verlagen und dezidiert in ihren Geschäftsbriefen bei der Auflösung der Dada-Galerie, als deren Gründer sich schon getrennt und Zürich verlassen haben. 

Emmy Hennings hat sich ihre Bleibe in der Schweiz erschrieben, nicht nur mit den publizistischen Arbeiten, sondern gerade auch mit ihren Briefen. Doch wenn die Briefchronik eines zerstreut, so ist es der Eindruck von Sesshaftigkeit, Ankunft und Niederlassung. Ausgedehnte Reisebriefe aus Italien nach Agnuzzo bei Lugano und aus Abbondio an Freunde sind Zeugnisse der Dauer im Wechsel und der Unruhe. Kontinuität und Stabilität erzeugt allein die Schrift.

Der Doppelnachlass Emmy Hennings (1885–1948) / Hugo Ball (1886–1927), den Hennings nach Hugo Balls Tod 1927 angelegt hat, umfasst 2250 Briefe, die von den Herausgebern Franziska Kolp und Thomas Richter um weitere 550 ergänzt werden konnten. 2012 wurde der Nachlass von Emmy Hennings Enkeln dem Schweizerischen Literaturarchiv übergeben. Dieses hat ein Jahr später die erste Werkausgabe von Emmy Hennings lanciert.

Letzte Änderung 04.12.2024

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