Während dreier Jahre hat der Schriftsteller Hans Morgenthaler in Siam Minen exploriert. Seine Texte und Zeichnungen geben Einblick in die koloniale Vergangenheit der Schweiz.
Von Lucas Marco Gisi
Im Herbst 1917 bricht der 27-jährige Burgdorfer Hans Morgenthaler nach Siam, dem heutigen Thailand, auf, um als Geologe für die Schweizer Firma Berli & Co. nach Zinn- und Wolframminen zu suchen. Wegen mangelnder beruflicher Perspektiven in der Schweiz begann in dem jungen Wissenschaftler, der im Jahr zuvor mit «Ihr Berge» erfolgreich literarisch debütiert hatte, die Idee zu keimen, seine Forschungen als «Abenteurer» in Übersee fortzusetzen. Er wolle es in der Ferne «zu etwas bringen» und «haufenweise Geld» verdienen, schreibt er seinem Vater und artikuliert damit ein zeittypisches koloniales Begehren. In Asien hofft er, der schweizerischen Enge entfliehen und seine Sehnsucht nach Selbstverwirklichung und nach einem anderen, «echten» Leben stillen zu können. Drei Jahre später wird er krank und erschöpft in die Schweiz zurückkehren, wo er bis zu seinem frühen Tod 1928 das Erlebte literarisch zu verarbeiten versucht.
Sehnsucht und Entfremdung
Die Ambivalenz dieser Fremderfahrung manifestiert sich darin, dass Hamo sie in zwei sehr unterschiedlichen Büchern verarbeitet hat. Jedes bildet zwar das Gegenstück zum anderen, aber der Regressionswunsch und die Kolonialismuskritik bleiben unvereinbar. Dem im Krieg versinkenden Europa hält der Autor in den unter dem Titel «Matahari» veröffentlichten Reisbildern eine «wundervoll glückliche Menschheit in einer fast vollkommenen Welt» entgegen und schwärmt von der Rückkehr in seine «Urheimat». Im autobiografischen Roman «Gadscha Puti» nimmt das «Minenabenteuer» eines Geologen hingegen einen ganz anderen Ausgang. Träumt der ambitionierte Schweizer anfangs noch davon, ein ideales Kolonialunternehmen zu begründen, so droht er bald in den «Tropen» zu «verwildern» und muss sich nach und nach das Scheitern seines Unterfangens eingestehen. Desillusioniert kehrt er in seine Heimat zurück.
Wie schwierig die Rückkehr in die Schweiz für den Autor selbst war, beschreibt er rückblickend in dem Bekenntnisbuch «In der Stadt». Durch seinen Siam-Aufenthalt habe er die Unmöglichkeit eines «going native» ebenso wie die Sinnlosigkeit des rücksichtslosen Wettstreits der europäischen Kolonialmächte um Rohstoffe erkennen müssen. Nach seiner «Vertreibung aus dem Paradies» fühlt er sich der alten Heimat «mehr denn je entfremdet».
Gestörte Idylle
Der Aufenthalt in Siam hat nicht nur im literarischen Werk, sondern auch im Nachlass des Autors Spuren hinterlassen. Ein Foto zeigt das Eindringen des Geologen mit Tropenhut in die Lebenswelt der Indigenen. Einer ähnlichen Szenerie begegnet man in einem Aquarell, das der kranke und verzweifelte Morgenthaler 1927 gemalt hat und in dem er nochmals seine Erinnerungen an die Zeit im «Paradies» aufleben liess. Auf den ersten Blick scheint die Idylle wiederhergestellt und der europäische Fremde durch den lokalen Boten («Corriere della Sera») ersetzt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass der Schweizer Kolonialabenteurer mutmasslich auch nach seiner Abreise als dunkler Schatten sein Unwesen treibt. Anhand der überlieferten Bilder und Texte können wir wiederum heute Morgenthalers «teilnehmende Beobachtung» und damit ein Beispiel für die kolonialen Verstrickungen der Schweiz studieren.
Der in Burgdorf geborene Hans Morgenthaler (1890–1928) war Schriftsteller, Geologe und Alpinist. Nach seinem Aufenthalt in Siam von 1917–1920 verfasste er über seine Erfahrungen im fernen Osten die Bücher «Matahari. Stimmungsbilder aus den malayisch-siamesischen Tropen» (1921) und «Gadscha puti. Ein Minenabenteuer» (posthum 1929). Posthum erschienen auch die Gedichtbände «Das Ende vom Lied» (1930) und «Totenjodel» (1970) sowie der Roman «In der Stadt. Die Berichte des Karl von Allmen» (1950).
Die aktuelle Nummer der Zeitschrift «Quarto» des Schweizerischen Literaturarchivs widmet sich dem Thema «(Post-)Kolonialismus und Schweizer Literatur».
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Letzte Änderung 22.06.2023