Poesie, die keine Grenzen kennt

Seit über 40 Jahren bemüht sich der Genfer Verlag La Dogana darum, Schweizer Dichter im Ausland und ausländische Dichterinnen in der Schweiz bekannt zu machen.

Von Margaux Pastureau

Ein kleines Rechenbuch zeugt vom Eintritt von La Dogana in die literarische Szene der französischsprachigen Schweiz. Das von einer nicht eindeutig identifizierten Hand geschriebene Büchlein wurde wahrscheinlich von einem der drei Gründer des Verlags geführt und gibt detailliert Auskunft über die Herstellungskosten der ersten sieben Bände, die La Dogana herausgegeben hat. Auch nimmt es die spätere Prosa-Reihe, deren Einbände an Schulhefte erinnern, optisch vorweg.

La Dogana
Bücher aus dem Verlag La Dogana sowie das Rechenbuch (unten rechts), in dem die Kosten der ersten Bände verzeichnet sind. (Foto: NB, Simon Schmid)

Die Gründung von La Dogana als Teil des Genfer Verlagshauses «Médecine & Hygiène» erfolgte 1981 auf Anstoss des Verlegers Florian Rodari, der auch Kunsthistoriker und Schriftsteller ist, des Malers Peteris Skrebers und des Druckers Joseph-Guy Cecconi. Als Emblem für ihr Unternehmen wählten sie das alte See-Zollhaus von Venedig, die Punta della Dogana an der Spitze des Canal Grande, um, wie sie es ausdrückten, «dem Wort ein Visum» zu verleihen. 

Die Geschichte des Verlagshauses beginnt mit der Veröffentlichung von Jean-Pierre Lemaires Gedichtsammlung «Les Marges du jour». Lemaires Manuskript wurde zunächst vom renommierten Verlag Gallimard abgelehnt und gelangte über den französischen Autor Pierre Oster zu Florian Rodari, der damals literarischer Leiter der «Revue de Belles-Lettres» war und es zu veröffentlichen beschloss.

Unter den im Rechenbuch aufgeführten La Dogana-Bänden findet sich auch an prominenter Stelle Philippe Jaccottets Übersetzung von Luis de Góngoras spanischem Gedicht «Las Soledades (Les Solitudes)». Mit dem Erscheinen dieses Textes im Jahr 1984 wurde eine Reihe von Werken angesehener Dichterinnen und Dichter lanciert, deren Namen im Verlagskatalog verzeichnet sind: Anna Achmatowa, Emily Dickinson und Annette von Droste-Hülshoff, um nur wenige zu nennen.

«Les Solitudes» markiert auch den Beginn der Zusammenarbeit des Waadtländer Schriftstellers Philippe Jaccottet mit seinem Neffen Rodari. Diese sollte fast vierzig Jahre andauern und mehrere eigene Werke Jaccottets wie «Libretto» oder «Le Bol du pèlerin», einen der grössten Erfolge von La Dogana, zwei Anthologien sowie dessen Übersetzungen von Texten von Ossip Mandelstam, Giovanni Rabonni oder Rainer Maria Rilke hervorbringen.

Der Verlag zeigte sich von Anfang an bestrebt, «alle Arten von Texten, die mit Poesie in Verbindung stehen, bekannt zu machen», und erweiterte sein Repertoire im Laufe der Zeit auch um Prosawerke, Kunstbücher sowie Publikationen, die Poesie und Musik zusammenbringen.

Schliesslich zeigt das von Hand geführte Buch auch auf, mit welcher handwerklichen Sorgfalt jede Publikation von La Dogana gestaltet ist. Nichts wurde dem Zufall überlassen: die Papierkörnung, die Farbe des Einbands, die Bindeart und natürlich die Wahl der Schrift. All diese Aspekte führen vor Augen, was es braucht, um «schöne» Bücher herzustellen. Dank Einblicken in den Verlagsbestand, der heute im Schweizerischen Literaturarchiv aufbewahrt wird, ist es möglich, die Produktion fast jeden Titels von La Dogana nachzuvollziehen: von den anfänglichen Typoskripten über die Druckvorlagen bis hin zu den Buchhaltungsbelegen, die gewissermassen die ökonomische Kehrseite der Publikationen abbilden.

Der Verlag La Dogana wurde 1981 von Florian Rodari, Peteris Skrebers und Joseph-Guy Cecconi in Genf ins Leben gerufen und spezialisierte sich auf Publikationen von Lyrik. Sein Name geht zurück auf das berühmte Zollgebäude in Venedig und versinnbildlicht die Vision des Austausches und der Vermittlung zwischen Westschweizer und internationaler Literatur. Der Katalog des Verlags umfasste bis zuletzt über achtzig Werke, u. a. von Philippe Jaccottet, José-Flore Tappy, Jean-Pierre Lemaire, Michel Orcel, Pierre Chappuis, Pierre Voélin und Jean Starobinski sowie Übersetzungen von Dante Alighieri, Emily Dickinson, Rainer Maria Rilke, Anna Achmatova und Ossip Mandelstam.

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Letzte Änderung 23.11.2022

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