Das Omnitalent Hermann Burger

Hermann Burger wollte ursprünglich Grafiker werden. Die Zeichenkünste des Schriftstellers sind in seinem Nachlass zu entdecken.

Von Pino Dietiker

 
 

Hermann Burgers erste Begabung war das Zeichnen. Seinen ersten Preis als Künstler gewann der später mit vielen Literaturpreisen geehrte Schriftsteller beim Zeichenwettbewerb einer Modehauskette – mit sieben Jahren. 14 Jahre alt war er, als ein Berufseignungstest ergab: Er solle die Matur und danach eine Kunstgewerbeschule absolvieren, «um sich später neben freiem graphischem Schaffen als Fachlehrer an einer Kunstgewerbeschule zu betätigen».

 
Das Omnitalent Hermann Burger
Hermann Burger als Maler: Ansicht der Aarauer Golattenmattgasse mit dem Oberturm
© Simon Schmid (Nationalbibliothek)

Die Matur erlangte Burger 1961 in Aarau. Seine Archivalien aus jener Zeit belegen, dass es ihm auch mit dem Kunstgewerbe ernst war. Eine Karikatur in der Maturzeitung zeigt ihn an der Staffelei, in einem Aufsatz nennt er Kunstbücher seine bevorzugte Lektüre. Vor allem aber haben sich Dutzende Aquarelle sowie Bleistift-, Kreide- und Tuschzeichnungen, auch Collagen und ein Ringbuch mit Skizzen und Malereien erhalten: Landschaften, Architekturstudien, abstrakte Kompositionen.

Dabei zitiert Burger das Diktum Paul Klees, wonach Kunst nicht das Sichtbare wiedergebe, sondern sichtbar mache. Klee zählte zu Burgers Lieblingsmalern, das Bild zweier Pyramiden aus farbigen Quadraten gemahnt an dessen Gemälde Ad Parnassum. So sehr Burger damit als Verfechter der modernen Kunst erscheint – den Avantgarden seiner Zeit stand er skeptisch gegenüber. Als um 1970 am Ziegelrain, einer Parallelstrasse der Golattenmattgasse, die Schweizer Pop-Art mitgeprägt wurde, widmete Burger der Ateliergemeinschaft eine bissige, wenn auch unveröffentlichte Ausstellungskritik. Im posthum publizierten Erstlingsroman Lokalbericht verulkt er die progressive Künstlergruppe als ordinäre Kleinstadtboheme.

Damals hatte Burger, der nach der Matur Zeichenkurse an der Kunstgewerbeschule in Zürich belegte, das Dilemma seiner Mehrfachbegabung bereits zugunsten der Literatur entschieden. 25 war er, als sein erster Gedichtband erschien und er in einem Interview meinte, im Schreiben jene Ausdrucksform für sein Innenleben gefunden zu haben, die er lange in der Malerei gesucht habe. 25 war auch Friedrich Dürrenmatt, als er sich für den Beruf des Schriftstellers entschied, obwohl er zeitlebens ein ebenso leidenschaftlicher Maler war. Dürrenmatts expressive Bildfantasien kommen seinen literarischen Werken zumindest hinsichtlich des überbordenden Einfallsreichtums nahe. Burger stufte das Malen wohl zu früh zur Liebhaberei herab, als dass aus seinen konventionellen Jugendzeichnungen eine eigenständige Bildsprache hätte erwachsen können. Immerhin aber zieren Aquarelle von Burger die Umschläge seiner Erstausgaben: Sie sind Teil seiner künstlerischen Identität. Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, Hobbymusiker, Amateurmagier und Freizeitmaler Hermann Burger, der eine seiner unheilbaren Romanfiguren einen «Omnipatienten» nannte, war ein Omnitalent.

 

Hermann Burger (1942–1989) war Schriftsteller, Feuilletonredaktor und Privatdozent für Neuere deutsche Literatur. Zu seinen wichtigsten Werken gehören die Romane Schilten und Die Künstliche Mutter. Die digitale Edition seines posthum erschienenen Erstlingsromans Lokalbericht ist online verfügbar.

 

Letzte Änderung 15.08.2019

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