Einen Regenbogen drucken

Eine drucktechnische Innovation bringt die Farben in den Siebdrucken des Meisterdruckers Lorenz Boegli zum Leuchten. Ähnlich wie auf einem Bildschirm vermischen sich darin Rot, Grün und Blau und lassen alle weiteren Farbtöne entstehen. Damit wird das bekannte Prinzip des Farbendrucks in Cyan, Magenta und Gelb umgekehrt.

Von Lisa Oberli

Regenbogen
«Gedrucktes Licht», subtraktiv in Rot, Blau und Gelb, sowie additiv in Rot, Grün und Blau (Foto: NB, Simon Schmid)
© Marco Ganz (Werk rechts)

Der Schaukasten «Red, Green and Blue» des Künstlers Marco Ganz (*1961) könnte einer barocken Wunderkammer entsprungen sein, denn er bringt ein eindrückliches natürliches Lichtphänomen in einem künstlerischen Artefakt zur Anschauung. Dabei vergegenwärtigt das Werk – auf vermeintlich wundersame Weise – die Grundlagen der visuellen Wahrnehmung. Nichts weniger als «gedrucktes Licht» soll in dem darin enthaltenen Siebdruck in Erscheinung treten. Aufs Papier gebannt wurde die Kunstedition 2021 im Atelier des Siebdruckers Lorenz Boegli (*1965) in Müntschemier (BE).

Rot, Grün und Blau

Auf dem tiefschwarzen Hintergrund vollzieht sich eine additive Mischung der Lichtfarben Rot, Grün und Blau, ähnlich derjenigen, die wir von Bildschirmen kennen. Drei Ellipsen in diesen Primärfarben – die an Lichtkegel erinnern – ergeben durch Überlagerung die Sekundärfarben Cyan, Magenta und Gelb sowie, im Zentrum, ein leuchtendes Weiss. Die in der Druckfarbe enthaltenen Pigmente reflektieren das einfallende Licht indes einzig in Rot, Grün und Blau, alle weiteren Farbtöne entstehen in der sinnlichen Wahrnehmung der Betrachtenden. 

Warum ist dies erstaunlich? Nun: Die Dreifarbentheorie von Thomas Young (1802) und Hermann von Helmholtz (1850) besagt zwar, dass sich sämtliche wahrnehmbaren Farben durch Kombination von Licht in den Wellenlängen für Rot, Grün und Blau mischen lassen. Der so entstehende RGB-Farbraum wird jedoch für selbstleuchtende Systeme wie Monitore verwendet, in denen Farben durch Verbindung von roten, grünen und blauen Punkten dargestellt werden. Nach jahrhundertealtem Verständnis lässt sich diese Methode der Farbmischung dagegen nicht im gedruckten Bild umsetzen – dort gelten gemeinhin die Gesetze der subtraktiven Farbmischung, deren Grundfarben Cyan, Magenta und Gelb sind. 

Irisierende Farben

Mit seiner Siebdruckkunst sprengt Lorenz Boegli diese Grenzen. Der besondere Wahrnehmungseffekt seiner Drucke basiert auf der schillernden Farbwirkung des Minerals Glimmer. Er entsteht aus der jeweiligen Lichtbrechung auf den transparenten Mineralpigmenten, die auf weissem Papier beinahe farblos wirken. Bereits Ende der 1990er-Jahre experimentierte Boegli mit irisierenden Druckfarben. 2013 entwickelte er in Zusammenarbeit mit der Firma Merck den «Vierfarbendruck im additiven Verfahren RGB». Dieses neuartige Druckverfahren nutzt die Eigenschaften des Siebdrucks: Das Siebgewebe vermag in einem Druckvorgang sehr viele der dafür verwendeten, vergleichsweise groben Spezialpigmente auf das Papier zu übertragen. 

Drucktechnische Erfindung

Regenbogen
Lorenz Boegli, «Iris», additiver Vierfarbendruck im Siebdruck mit Glimmerpigmenten, 2024; im Vordergrund: aufgefaltete Werbekarte mit zusätzlichem Prägedruck (Foto: NB, Simon Schmid)
© Lorenz Boegli

Mit dem additiven RGB-Vierfarbendruck ist Lorenz Boegli eine Innovation gelungen, kehrt dieser doch das Prinzip des bekannten Vierfarbendrucks CMYK in Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz (Key) um. Beide Formen des Mehrfarbendrucks bedingen eine Zerlegung des Druckmotivs in einzelne Farbauszüge. Erkennbar wird dies im 2024 entstandenen Siebdruck «Iris». Die Farbkontrollstreifen am rechten Rand dieses Abzugs zeigen, dass in Rot, Grün und Blau sowie in Weiss gedruckt wurde. Die Nahsicht desselben Drucks bringt dann die feinen Punkte in Rot, Grün, Blau und Weiss zum Vorschein, die sich aus der Rasterstruktur des Siebs ergeben. Das Motiv der Iris, der Regenbogenhaut des Auges, verweist wiederum auf die menschliche Farbwahrnehmung, welche auf Sinneszellen für Rot, Grün und Blau beruht. 

Blau, Rot und Gelb: Historischer Vierfarbendruck

Regenbogen
Detail aus dem additiven Vierfarbendruck «Iris» von Lorenz Boegli
© Lorenz Boegli

Lorenz Boeglis gleichsam alchemistischer Druck von Licht sowie dessen Gegensatz, nämlich der Druck von Pigmentfarben, lassen sich auf eine historische Debatte zurückführen. So nahm der Naturphilosoph Isaac Newton (1642–1727), der die additive Farbmischung von natürlichem Licht bereits 1671 nachwies, noch keinen Unterschied zwischen Licht- und Pigmentfarben an. In seiner 1704 veröffentlichten Schrift «Opticks» vertrat er gar die Annahme, dass sich aus Farbpigmenten in den Spektralfarben Violett, Indigo, Blau, Grün, Gelb, Orange und Rot die Farbe Weiss mischen lasse. 

Newtons Versuch, die Mischung von Lichtfarben auf jene von Pigmentfarben anzuwenden, löste unter Künstlern lebhafte Diskussionen aus: Ihnen war längst bekannt, dass sich alle materiellen Farben aus nur drei Primärfarben, nämlich Blau, Rot und Gelb (dem heutigen Cyan, Magenta, Yellow) herstellen liessen. Kurze Zeit nach Newtons bahnbrechender Veröffentlichung erfand der Drucker Jacob Christoph Le Blon (1667–1741) um 1710 den Dreifarbendruck und später den Vierfarbendruck, der auf eben diesen drei Farben sowie Schwarz beruht.

Regenbogen
Detail aus Charles Melchior Descourtis nach Caspar Wolf, «Chute de la Tritt dans la Vallée de Muhle-thal», Farbaquatinta und Farbradierung als Mehrplattendruck, um 1785

Der Farbendruck «Chute de la Tritt dans la Vallée de Muhlethal» ist ein Beispiel für diese Technik. Im Vordergrund des Blattes ist ein Regenbogen, Inbegriff des zerlegten Lichtes, zu sehen. Auch in diesem Druck tritt demnach «gedrucktes Licht» in Erscheinung, einfach unter umgekehrten Vorzeichen als bei Lorenz Boegli: Denn verblüffenderweise weist der Regenbogen darin nicht sieben, sondern drei Farben auf: Blau, Rot und Gelb, die Grundfarben des gedruckten Bildes. Bis anhin!

Literatur und Quellen

Letzte Änderung 30.12.2024

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