Massgeschneidert – Holz als Material und Motiv bei Zbinden

Zeit seines Lebens war Emil Zbinden für sein Talent als Holzstecher und Illustrator bekannt, aber auch für das soziale Engagement, das sich in seinen Werken widerspiegelt und überraschende Formen annehmen konnte. Die Plastizität seiner Bilder lädt dazu ein, sich mit dem abgebildeten Thema auseinanderzusetzen.

Von David Meszes

Zbinden Tür
Emil Zbinden: «Tür»; Illustration für «Uli der Pächter», Holzstich, 1943
© Samuel Zbinden

Der Holzschnittkünstler Emil Zbinden (1908–1991) widmete sein Lebenswerk den «kleinen Leuten». Im Verlaufe seiner Karriere nutzte er sein Talent, um gewerkschaftliche Publikationen, Flugblätter und zahlreiche Romane zu illustrieren, darunter die Werke von Albert Bitzius, dem Berner Schriftsteller aus dem 19. Jh., besser bekannt als Jeremias Gotthelf, der, wie er, eine ausgeprägte soziale Ader hatte. Hier sehen Sie den ersten Holzstich von Zbinden im Roman «Uli der Pächter» von Gotthelf (Ausg. Büchergilde Gutenberg, 1943). Die ganzseitige Abbildung vor Textbeginn fungiert als Eingangstor zum erzählerischen Universum. Blättert man die Seite um, tritt man in die Geschichte ein. Wir werden eingeladen, mit dem Bild zu interagieren, es zu berühren. 

Vom Text zum Bild

Auf den ersten Blick haben Bild und Text keinen direkten Zusammenhang, wie so oft bei den Illustrationen, die Zbinden für die Romane von Gotthelf gemacht hat. Es ist faszinierend, zu beobachten, dass es für den Berner Holzschnittkünstler nicht notwendig war, den genauen Wortlaut von Gotthelf wiederzugeben. Vielmehr stellte Zbinden Leute und Gegenstände dar, denen man im erzählerischen Universum begegnen könnte. Ein Element zieht sich aber durch fast alle Bilder: Holz in seiner ganzen Plastizität. Es verführt dazu, das Bild zu berühren. So wird das Werk nicht nur zu einem visuellen, sondern auch zu einem haptischen und akustischen Erlebnis. Es sind Bilder, die die Perspektive der Figuren aus der Geschichte treu wiedergeben und sich dabei auf Sinneswahrnehmungen stützen. 

Zbinden Mareili
Emil Zbinden: Illustration für «Das Erdbeeri Mareili», Holzstich, 1951
© Samuel Zbinden

Auch Gotthelf lässt uns an den Erfahrungen der Protagonisten teilhaben. Dafür nutzt er verschiedene Erzähltechniken wie die Innenperspektive, das Thematisieren sozialer Probleme (wie Armut, Ablehnung) oder auch das Schweizerdeutsche. Zbinden verwendet das Holz als visuelles Pendant dieser Suche nach Authentizität. Die Tiefe der Texturen entspricht der  beispielslosen Plastizität eines Textes, der den Alltag der «kleinen Leute» fassbar macht.

Irritierendes Holz

Zbinden Eule
Emil Zbinden: «Eule mit Kauz», Holzschnitt, 1963
© Samuel Zbinden

Holz und Bäume spielen in vielen Werken von Zbinden eine wichtige Rolle. Er platziert sie in vergnügliche Szenen, in erfundene wie echte politische Debatten oder nutzt sie als Messskala menschlicher Aktivitäten.

Das Holz ist nicht nur ein häufiges Motiv in Zbindens Werken, es war auch sein Arbeitsmaterial. Der kreative Prozess wird besonders deutlich in der Reihe «Verdingbuben». Die ganzfigürlichen Portraits zeigen namenlose Kinder, die in der Schweiz bis in die 1960er Jahre als Arbeitskräfte ausgebeutet wurden. Um sie darzustellen, entscheidet sich Zbinden, für den Druck Platten zu verwenden, auf denen die Maserung des Holzes sichtbar bleibt. Das künstlerische Werkzeug bildet sich selbst ab und wird so zum Motiv. 

Zbinden Verdingbub
Emil Zbinden: «Verdingbub II», Holzstich, 1960
© Samuel Zbinden

Bei den Illustrationen von Gotthelfs Romanen benutzt Zbinden die Maserungen als sensoriellen Anhaltspunkt, von dem aus sich die Leserschaft in das fiktive Universum tragen lässt. Die geritzten Platten der «Verdingbuben» stehen im Gegensatz dazu in ihrer reinsten Form da und zeigen den künstlichen Charakter des Bildes. Sie konfrontieren uns mit ihrer Plastizität und erinnern daran, dass wir Beobachtende sind. Uns zeigt sich ein Thema, das den materiellen Charakter realer Menschen symbolisiert – Arbeitskräfte, die ausgebeutet werden (können). Insofern ist das Werk anklagend: Es stellt die systemische Ungerechtigkeit dar. 

1949 schufen Zbinden und Eugen Jordi (1894–1983) ein Wandbild für die Schule Wylergut in Bern: ein illustriertes Alphabet, bei dem für die Buchstaben C, I und N rassisierte Menschen dargestellt werden. Die auf der Wand abgebildeten Figuren werden auf kategorisierbare Objekte reduziert, die den Blick der damaligen Gesellschaft auf die Welt widerspiegeln. Dieselben Augen, die äusserst sensibel die Ungerechtigkeit – erlitten von Verdingkindern – anprangern, erkennen nicht, dass sie andere Menschen mit ihrem Blick stereotypisieren. Das Wandbild wurde 2023 aus der Schule entfernt und ins Bernische Historische Museum gebracht.

Nach seiner Lehre als Typograph in Bern wurde Emil Zbinden (1908–1991) an die Akademie für graphische Künste in Leipzig aufgenommen. Dort kam er mit der Szene der zeitgenössischen Kunst und auch mit Bruno Dressler in Kontakt, einem der Mitbegründer der Büchergilde Gutenberg. Die fruchtbare Zusammenarbeit der beiden führte unter anderem zu den Illustrationen der Romane von Jeremias Gotthelf, mit denen sich Zbinden von 1936 bis 1953 beschäftigte. Neben Auftragsarbeiten schuf er zahlreiche Holzstiche und Gemälde von Baustellen und Landschaften. Er war zudem ein wichtiges Mitglied des künstlerischen Kollektivs Xylon.

Literatur und Quellen

Letzte Änderung 29.11.2023

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