Seit einigen Jahren trage ich Geschichten- und Legendensammlungen mit Bezug auf die Bergwelt zusammen. Zu meinen Lieblingsbüchern zählt Légendes des Alpes vaudoises, geschrieben von Alfred Cérésole und illustriert von Eugène Burnand. Der Autor sammelt volkstümliche Traditionen seiner Region und gibt sie weiter. Er präsentiert eine Auswahl von Erzählungen mit universeller Resonanz, wo sich Feen, Kobolde, Teufel und Geister begegnen, wo ein längst vergangenes goldenes Zeitalter oder eine beängstigende Welt wachgerufen wird, deren Schlüssel uns entgleitet. Das erzählerische Talent von Cérésole führt uns in ein Universum, wo die Menschen in enger Abhängigkeit zu ihrer Umwelt leben und wo Sagen gewisse natürliche Phänomene erklären. Wir hören zu, fasziniert vom Unbekannten oder überrascht, Figuren aus unserer Kindheit wiederzutreffen.
Abends, bei der Rückkehr ins Chalet nach einem Spaziergang, beim Aufwärmen am Kaminfeuer, kehren die Erinnerungen an solche Geschichten zurück. Wer hat nicht schon geschaudert beim Ertönen des beunruhigenden Klagens des Windes, der durch die Täler fegt? Wer hat noch nie geglaubt, verdächtige Geräusche auf dem Dachboden oder in einer dunklen Ecke des Zimmers zu vernehmen?
Dieser gemeinsame Hintergrund nährt auch die Vorstellungswelt unserer Schriftsteller: Erinnern wir uns an die Erzählungen von Eugène Rambert, Autor und Bergsteiger, an die übernatürlich angehauchten Novellen von Ramuz und an die sonderbaren Kreaturen, welche die Geschichten von Corinna Bille bevölkern.
Céline Cerny
Archivarin im Schweizerischen Literaturarchiv (SLA)
Bibliographie:
Alfred Cérésole, Légendes des Alpes vaudoises, Lausanne, [s. n.], 1885. Cote : Lq 1261.
Eugène Rambert, Récits et croquis, Lausanne, Librairie Rouge, 1889.
C. F. Ramuz, Nouvelles et morceaux, in Œuvres complètes, 5 vol., Genève, Slatkine, 2006-2007.
S. Corinna Bille, Nouvelles et petites histoires, Lausanne, L'Âge d'homme, Poche suisse, 1995.
