Der gleiche traditionelle Brauch wird an verschiedenen Orten oft unter anderem Namen begangen. So auch das Scheibenschlagen. Bei der Suche nach Informationen über den Ursprung und die Bedeutung des Scheibenschlagens stellt die Vielzahl von Bezeichnungen eine Herausforderung dar: Die Dialektnamen und ihre Schreibung verlangen viel sprachliche Fantasie und Beharrlichkeit bei der Recherche.
Seit 2012 steht das Scheibenschlagen auf der Liste der lebendigen Traditionen der Schweiz. Der Feuerbrauch wird meist am ersten Fastensamstag oder -sonntag («Funkensonntag») in einigen Bündner Tälern und in Teilen Basellands begangen. Das Bundesamt für Kultur hat zum Scheibenschlagen eine Dokumentation erstellt und zusammen mit Literaturhinweisen online gestellt. Die Website lebendige-traditionen.ch ist ein guter Ausgangspunkt, um sich mit dem Thema vertraut zu machen.
Tücken der Informationsrecherche
Wer die Recherche nach den Ursprüngen und der wandelnden Bedeutung des Scheibenschlagens vertiefen möchte, kann dafür Bibliothekskataloge, Fachbibliografien wie die Bibliographie der Schweizergeschichte, aber auch Portale digitalisierter Zeitschriften (E-Periodica) und Zeitungen (e-npa.ch) konsultieren. Gleich zu Beginn der Suche zeigt sich eine typische Schwierigkeit solcher Forschung: Das Scheibenschlagen ist je nach Region bekannt als «Schiibaschlaha», «Schyblischiesse», «Schybeschiesse», «Schybefleuge», «Füürreedlispränge», «Reedlischigge», «Reedlischwinge» etc. Zu dieser Fülle an Bezeichnungen kommt die Vielzahl der Schreibvarianten dieser Dialektausdrücke hinzu. Bibliothekskataloge und die Portale mit digitalisierten Volltexten wie e-npa.ch oder E-Periodica behandeln die eingegebenen Suchbegriffe nach aktuellen Gepflogenheiten exakt. Das hat den Vorteil, dass auch die Treffermenge «exakter» ist als bei einer «toleranten» Behandlung ähnlicher Suchbegriffe, bei der sich in der Ergebnisliste oft viel «Spreu» unter den «Weizen» mischt. Für Recherchierende bedeutet das jedoch, dass alle Synonyme und Schreibvarianten von «Scheibenschlagen» in geeigneter Weise ins Suchfeld einzugeben sind – was viel sprachliche Fantasie und Beharrlichkeit verlangt.
Ursprung und Bedeutung des Brauchs
Die Erfahrung von Kälte und Dunkelheit im Winter und die Sehnsucht nach Sonnenlicht und -wärme dürften den anthropologischen Kern jener Praktiken bilden, bei denen die Finsternis symbolisch besiegt und der Winter mit Feuer, teils auch mit Lärm «ausgetrieben» oder die Sonne magisch zur «Rückkehr bewegt» wird. Der Azmooser Lehrer Jakob Kuratli, der das Scheibenschlagen im Sarganserland in den 1950er Jahren volkskundlich untersuchte, kam zum Schluss, dass es sich dabei um einen uralten Feuerkult handle. Das Scheibenschlagen sei somit keltischen Ursprungs. Dafür fehlen allerdings schriftliche Zeugnisse oder archäologische Belege.
Historisch belegt ist dagegen das christliche Überprägen von älteren, «heidnischen» Festen und damit verbundenen Bräuchen. Prominentes Beispiel dafür ist Weihnachten, das die Kirchen nach der Wintersonnenwende feiern, also während der Zeit des antiken Festes zu Ehren des unbesiegbaren Sonnengottes Sol invictus.
In einer christlichen Auslegung bekommen die glühenden Holzscheiben, welche beim Scheibenschlagen in die Luft katapultiert werden, den Rang von Glücks- respektive Schicksalsrädern. Die durch die Luft fliegende Scheibe wird als Sinnbild für das menschliche Leben verstanden, das ebenso niederfallen kann, wie es hoch aufgestiegen ist (wie Gottfried von Strassburg in seinem «Tristan» schreibt).
Neue gesellschaftliche Funktion
Ob Fastnachtsbrauch, Wintervertreiben, oder Lebenssymbol – so unsicher die Ursprünge des Brauchs sind, so vielfältig sind die dem Scheibenschlagen zugeschriebenen Bedeutungen. Einem gesellschaftlichen Wandel unterworfen ist auch die soziale Funktion dieses Brauchs. In Untervaz war das Scheibenschlagen seit den 1960er Jahren als lebendige Praxis gefährdet: Die traditionellen Trägerschaften verloren an Zulauf bei den Jungen bzw. den Zugezogenen, das Wissen über die Herstellung der Scheiben, das Backen der «Chüechli» und das Nähen der weissen Kittel drohte in Vergessenheit zu geraten. Durch Initiativen von Privaten und der Gemeinde fand das Scheibenschlagen wieder Zuspruch und entwickelte sich zu einem Dorffest, dem eine wichtige soziale Funktionen bei der Integration von Jung und Alt, Einheimischen und Zugezogenen zukommt.
Literatur und Quellen
- Scheibenschlagen. In: Die lebendigen Traditionen der Schweiz.
- Hans Peter Berger, Scheibenschlagen in Graubünden. In: Bündner Jahrbuch N.F. 34 (1992), S. 126-133.
- Hermann Hiltbruner, Scheibenschlagen ["Redlischloo"] / Leimentaler Fastnacht, 1946. [Werkmanuskript im Schweizerischen Literaturarchiv].
- Jakob Kuratli: Das Scheibenschlagen einst und jetzt. In: Sarganserland. Beitrage zu seiner Geschichte und Kultur, 3 (1955), Nr. 1 / 2 (Januar / Februar), S. 1-11.
- Philipp Ryser: Winteraustreiben oder ein Sinnbild für das Leben? Reedlischigge in Biel-Benken. In: Akzent. Magazin für Kultur und Gesellschaft 2010, Heft 1 (Februar): Schwerpunkt Feuerbräuche, S. 14-18.
- Ueli Gyr, Bräuche. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
Letzte Änderung 07.02.2024
Kontakt
Schweizerische Nationalbibliothek
SwissInfoDesk
Publikumsinformation
Hallwylstrasse 15
3003
Bern
Schweiz
Telefon
+41 58 462 89 35
Fax
+41 58 462 84 08