Auf der Suche nach kühler Luft und Leichtigkeit im Grotto

Grotti sind ursprünglich Felsenkeller zur Lebensmittellagerung: Die Luftzirkulation in den Felsformationen wird geschickt genutzt, um ein stabiles Raumklima zu schaffen. Einige Grotti wurden ausgebaut, mit einer Terrasse ergänzt und im Sommer als Gaststätte genutzt. Nach wie vor sind die Grotti für eine unkomplizierte Einkehr sehr beliebt.

Ein breiter, schattiger Weg führt links an mehreren aneinandergebauten Steinhäusern mit Grotti vorbei. Vor dem Haus sitzt ein Mann an einem Steintisch, er ist kaum erkennbar. Am Strassenrand rechts befindet sich ein Kastanienbaum, ein Ast ragt über die Strasse.
Die Strasse zwischen Bondo und Promontogno 1927 mit Grotti und Kastanienbäumen (Archiv Zinggeler, NB. EAD-ZING-1981)

Das Grotto: Wein, Käse, Wurst, Polenta und Mandolinenklänge, eine fröhliche Gästeschar an Steintischen unter Kastanienbäumen, irgendwo im Kanton Tessin oder auch in den Bündner Südtälern. Ungefähr so präsentiert sich das – stereotype – Bild der Gastwirtschaft, die sich Grotto (in der Mehrzahl Grotti) nennt. Wie hat es das Grotto auf die Liste der lebendigen Traditionen geschafft? 

Immer ein angenehm kühles Lüftchen

Schon seit langer Zeit werden im Tessin und in den südlichen Regionen Graubündens natürliche Felsenkeller zur Vorratshaltung genutzt. Für die Lagerung von Wein, aber auch für Vorräte wie Käse, Wurstwaren und Gemüse benötigte man genügend Platz und ein kühles, stabiles Klima.

Die idealen Bedingungen in den Felsenkellern entstehen durch die Temperaturunterschiede zwischen den Luftmassen im Bereich der porösen Felswände und dem Aussenbereich des Grottos: Die natürlichen Hohlräume und Spalten in den Felsen, die als Rückwand dienen, und die beim Bau der Grotti ausgesparten Luftschlitze in den Aussenmauern, sorgen im Vorratsraum für einen kontinuierlichen Austausch von warmen und kühlen Luftmassen. Im Grotto herrschen ganzjährig stabile Temperaturen von um die 10 bis 12 Grad – ideal für die Vorratshaltung.

Die Grotti liegen in der Regel etwas ausserhalb der Dörfer, meist in der Nähe schattenspendender Bäume, die an heissen Sommertagen zusätzlich zur Kühlung beitragen. Nach und nach wurden die Felsenkeller vergrössert und um angebaute Räume bis hin zu einfachen Häuschen erweitert. 

Auf der linken Seite eines schattigen Weges reihen sich mehrere Grotti aneinander. Die Eingänge in die Steinbauten sowie eine Treppe Richtung Hang sind sichtbar. Rechts vom Weg sieht man Kastanienbäume mit Laub, dahinter eine Steinmauer.
Die Grotti von Cevio im Schatten der Kastanienbäume, 1931 (Archiv Zinggeler, NB. EAD-ZING-5567)

In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die Grotti zu einem beliebten Treffpunkt, wo sich Dorfgemeinschaft im Sommer zum Essen und Trinken versammelte. Mit der Zeit folgte die Öffnung für Gäste mit Ausschank von Wein und anderen Getränken und einem Angebot an einfachen Speisen. In «Il San Bernardino» vom 2. Juni 1928 findet sich der Artikel «I nostri Grotti!!» der die Frühlingsgefühle mit froher Einkehr im Grotto beschreibt. Waren die Grotti anfangs bloss an Anlässen wie Feiertagen zugänglich, wurden die Öffnungszeiten kontinuierlich erweitert. Eigentliche Gastbetriebe entstanden.

Südländische Lebensfreude und Leichtigkeit

Mit dem aufkommenden Tourismus wurden die Grotti auch nördlich der Alpen ein Begriff. «Die Neuen Zürcher Nachrichten»  berichten am 15. Oktober 1937 über die «südlich heitere Stimmung» im Grotto, das für kurze Zeit in einem Zürcher Warenhaus eingerichtet wurde. Auch an der Landesausstellung 1939 wurde ein Grotto Ticinese aufgebaut, wie die «Neue Zürcher Zeitung»  am 23. Oktober 1939 in einem Artikel über die Tessiner Schlussfeier schreibt: Gerne hätte man das Grotto noch länger in Betrieb gesehen. Zwei Jahrzehnte später war das Grotto Ticinese erneut Treffpunkt – diesmal an der Berner Ausstellung BEA, worüber das «Journal du Jura» am 16. Mai 1960 berichtete.Die positive Ausstrahlung des Grottos nutzte auch der Tessiner Bundespräsident Flavio Cotti, der den «Brückenbauer» im Dezember 1997 zum Interview in ein Grotto einlud.

Leichtigkeit, Geselligkeit, schmackhaftes Essen wie in der «Sonnenstube Tessin»: Auch nördlich der Alpen entstanden Restaurants, die sich Grotti nannten und sich an den Traditionen der Südschweiz orientierten. Was damals noch exotisch anmutete, ist heute auch nördlich der Alpen ein fester Bestandteil der Schweizer Gastronomie. In der italienischsprachigen Schweiz lebt die Kultur der Grotti weiter: Lokale, die insbesondere im Sommer traditionelle Gerichte aus regionalen Produkten anbieten.

Kühltruhe statt Grotto – Baukulturerbe bewahren

Das natürliche Kühlsystem der Grotti musste der Technik Platz machen: Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt der Kühlschrank Einzug in die Haushalte. Viele Grotti wurden nicht mehr zur Vorratshaltung genutzt, einige Bauten verfielen. Doch die Bautradition soll bewahrt werden. Das gelingt durch Initiativen wie dem Sentiero dei Grotti in Cevio (Maggiatal), dem Rundgang durch die Grotti von Cama im Misox oder die Cantine di Mendrisio.

Frontansicht eines zweigeschossigen Grottos, umgeben von Bäumen, die noch ohne Laub sind. Auf Strassenhöhe die geschlossene Eingangstür zum Grotto, am Boden trockene Laubblätter. Links und rechts vom Eingang ein Steinmäuerchen, das zum Sitzen einlädt.
Warten auf den Frühling: Eingang zu einem Grotto in San Giorgio, Losone ca. 1920. Noch scheint wenig Betrieb zu herrschen (Archiv Zinggeler, NB. EAD-ZING-4258)

Das Grotto: Bewährte Bauweisen und regionale Gastronomie, Vorratshaltung und Geselligkeit – Aspekte einer lebendigen Tradition, die in der Schweizer Nationalbibliothek dokumentiert ist.

Literatur und Quellen

Letzte Änderung 19.08.2025

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