Live aus Troja

Der Brief des deutschen Kaufmanns und Amateur-Archäologen Heinrich Schliemann ist eine der vielen Preziosen der Handschriftensammlung von Hans Rhyn.

Von Margit Gigerl

Ein Originalbrief von Heinrich Schliemann von 1876 von der Ausgrabungsstätte Troja
Heinrich Schliemann (1822–1890) berichtet in einem Brief von 1876 von der Ausgrabungsstätte Troja. © NB, Simon Schmid
© NB, Simon Schmid

Ein alter unscheinbarer Brief, geschrieben auf dünnem hellblauem Papier mit der über Jahrhunderte üblichen braunen Eisengallustinte. Doch dann fällt der Blick auf die rechts oben eingerückte Adress- und Datumszeile: «Troy near the Dardanelles 8th May 1876» – sie versetzt den Leser mitten in jenes legendäre Abenteuer, das bis heute nichts von seiner Faszination eingebüsst hat.

Der Verfasser der Zeilen ist der als Kaufmann zu grossem Reichtum gekommene deutsche «Selfmademan» Heinrich Schliemann, der direkt aus der geschichtenumwobenen Stadt berichtet. In mehreren Grabungen hat er ab 1870 nach der vom griechischen Dichter Homer beschriebenen Stadt «Illion» gesucht und im äussersten Nordwesten der Türkei, am Eingang der Meerenge der Dardanellen, ausgesprochen unzimperlich den Burghügel Hisarlik abtragen lassen. 1873 fand er schliesslich den von ihm so genannten Schatz des Priamos, Vasen, Dolche, Gerätschaften und kostbarsten Goldschmuck, den seine junge griechische Frau Sophia der Presse als die «Juwelen der Helena» präsentierte.

Heinrich Schliemann wurde unversehens weltberühmt, blieb jedoch als Archäologe für die Wissenschaft ein heftig kritisierter Amateur und Exzentriker, der das Dichterwort für Wahrheit nahm. Dass Schliemann zeitlebens um Anerkennung rang, auch das belegt der englischsprachige Brief an den renommierten Oxford-Professor Max Muller. Begeistert berichtet er ihm von der endlich erneuerten Grabungserlaubnis und beteuert, dass Mullers Besuch in Troja für die Wissenschaft und wohl ebenso sehr für den Autor der Zeilen von unschätzbarem Wert wäre.

Heute wissen wir, dass der vermeintliche Schatz des letzten trojanischen Königs bedeutend älter und die Frage, ob Troja mehr als ein Ort der Weltliteratur war, nach wie vor umstritten ist. Der Brief hingegen mit der Erzählung von der Entdeckung Trojas befindet sich physisch und sehr real in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern. Er ist eines von fast 250 Dokumenten aus der Kollektion von Hans Rhyn, Lehrer am Städtischen Gymnasium in Bern und passionierter Sammler alter Handschriften. Geprägt von dem in Muri bei Bern ansässigen Rudolf Maria Holzapfel und seiner ganzheitlichen Kulturphilosophie, befinden sich darin Dokumente und Zeugnisse aus den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen, Kunstsparten und von Personen des öffentlichen Lebens. Diese waren ursprünglich mit Hilfe von Plastikzeigetaschen in vergilbten Ringordnern in neun Abteilungen organisiert: von Physikern, Chemikern, Geologen und Reisenden über Biologen, Mediziner, Botaniker und Astronomen bis zu bildenden Künstlern, Musikerinnen und Komponisten, Schriftstellerinnen und «Staatsmänner, Denker, Frauen» (so seine eigene Rubrizierung).

Beethoven, Haydn, Clara und Robert Schumann, Turner, Monet, Anker, Giovanni Segantini, Newton, Marie Curie, Gauss, Pestalozzi, Dunant, Lavater, Darwin, Pasteur, Koch, Gotthelf, Keller, Goethe, Schiller, Grillparzer, Stifter und zahlreiche weitere heute noch mehr oder weniger bekannte Namen und Trouvaillen sind in dieser singulären Sammlung enthalten. Jedes erzählt seine eigene Geschichte und wäre sozusagen mit den Eingangsversen von Homers «Odyssee» zu beschwören: «Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes…».

 

Die Autographensammlung Hans Rhyn wurde wie bereits zuvor die Handschriften Rainer Maria Rilkes und Friedrich Glausers von der Schweizerischen Nationalbibliothek digitalisiert und ist auf der Datenbank des Literaturarchivs HelveticArchives sowie der Verbundplattform e-manuscripta zugänglich.

Live aus Troja (PDF, 146 kB, 11.07.2018)Der kleine Bund, Dienstag, 3. Juli 2018

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