Prinzessin, Irrgarten – und ein Brunnen?

Wie Meret Oppenheim dem Art-Brut-Künstler Adolf Wölfli die Reverenz erweist.

Von Magnus Wieland

1976 zeigte das Kunstmuseum Bern die erste grosse Ausstellung zu Adolf Wölfli, dem – neben Robert Walser – wohl prominensteten ehemaligen Insassen der psychiatrischen Anstalt Waldau. Das Interesse der zeitgenössischen Malerei, die sich von naturalistischen Tendenzen abwandte, an der Art Brut war gross. Aus diesem Grund präsentierten Kunstschaffende der jungen Berner Szene parallel zur Ausstellung eigene Werke als «Hommage à Wölfli» im Weissen Saal des Kunsthauses, darunter auch Meret Oppenheim, die zu Beginn der 1950er ihren Lebensmittelpunkt nach Bern verlegte. 

Dokumente und Zeichnungen von Meret Oppenheim auf rosa Hintergrund
Oppenheims Gemälde «Prinzessin für Adolf Wölfli», der Plan der Gartenanlage für die Waldau sowie das von Meret Oppenheim ausgefüllte Formular für «Kunst am Bau» der Stadt Bern, beiliegend die Zeichnung von Wölflis Fontäne.
© Alexandra Kunz, NB

Hier in der Aarestadt traf sie auf ein ähnlich stimulierendes Umfeld wie zwanzig Jahre zuvor in Paris bei den Surrealisten – mit dem Unterschied nur, dass sich die Altersverhältnisse nun verkehrten. Wo sie in Paris Kreise bereits älterer Künstler frequentierte, bewegt sie sich in Bern unter einer jüngeren Generation, die damals am Anfang ihrer Karriere stand: Rolf Iseli, Bernhard Luginbühl, Markus Raetz, André Thomkins, Otto Tschumi – sie alle stellten nicht nur bei der Wölfli-Hommage aus, sie waren auch mit Oppenheim gut vernetzt. Zu nennen wäre ausserdem Daniel Spoerri. Elka Spoerri, die Frau seines Cousins Theodor Spoerri, der als Psychiater in der Waldau arbeitete, kuratierte die Wölfli-Ausstellung. 

Oppenheim war schon länger mit dem Werk Wölflis vertraut und machte nicht zuletzt den Wortführer der Surrealisten, André Breton, auf den 1930 verstorbenen Art-Brut-Künstler aufmerksam. In der Ausstellung zeigte sie eine Mischtechnik mit dem Titel «Prinzessin für Adolf Wölfli». Das Bild entstand, wie ihrem akribisch geführten Werkverzeichnis zu entnehmen ist, ein paar Jahre früher, als die Künstlerin den Auftrag erhielt, die Parkanlage vor dem neuen Aufnahmegebäude der Waldau-Klinik zu gestalten. 

Es gehört zur feinen Ironie Oppenheims, dass sie im grünen Zentrum der – wie Wölfli die Waldau einst nannte – «Irren=Anstalt» einen «Irrgarten» vorsah, den sie eigenhändig in den nach ihrem Entwurf ausgeführten Plan des Gartenarchitekten E. Surbeck einzeichnete. Ferner plante sie eine Bepflanzung mit Bäumen, um daran von Patienten hergestellte Objekte aufzuhängen. Doch das Projekt wurde von der städtischen Prüfstelle für Kunst am Bau abgelehnt mit der Begründung, man fördere Künstler, aber keine Bäume. So kam die Kunst am Bau(m) nicht zustande.

Dafür liess sich Meret Oppenheim von Wölfli möglicherweise zu einem anderen Kunstwerk im öffentlichen Raum inspirieren: dem anfänglich umstrittenen, heute aber als modernes Wahrzeichen akzeptierten Brunnen am Waisenhausplatz, der 1983 eingeweiht wurde. Die markante Betonsäule mit der spiralförmigen Bewässerungsrinne, an der sich über die Jahre organische Ablagerungen von Kalk und Gewächsen bildeten, findet sich auf einem Gemälde Wölflis präfiguriert. Meret Oppenheim kannte es bestimmt, zumal es Teil der Ausstellung im Kunstmuseum und zuvor schon im Katalog zu Harald Szeemanns Ausstellung «Bildnerei der Geisteskranken» in der Kunsthalle Bern (1963) abgebildet war. 

Es handelt sich um ein augenfälliges Objekt Wölflis, einen bemalten Holzschrank mit vier grösseren Bildern auf den vorderen Türflügeln. Eines davon zeigt eine Art Brunnen, in dessen Mitte vor der Kulisse einer Altstadt dominant eine grüne säulenartige Fontäne emporschiesst. Wenn man das Bild heute ansieht, kommt man nicht umhin, darin Oppenheims Brunnen zu erkennen. Als hätte die Künstlerin Wölflis Vision umgesetzt. 

Auch wenn sich das nicht belegen lässt, zeigt die Ähnlichkeit doch, was Oppenheims Kunst trotz aller ästhetischen Unterschiede mit derjenigen Wölflis verbindet: die ungeheure visionäre Kraft, die – wie die Brunnensäule – erratisch in die (Kunst-)Landschaft ragt. 

Am Freitag, 14. März, um 18 Uhr findet in der Schweizerischen Nationalbibliothek das Gespräch «Meret Oppenheim in Bern» mit der Biografin Bärbel Reetz und der Kuratorin Bice Curiger statt.

Letzte Änderung 25.02.2025

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