Sie hält der Schweizer Literatur den Spiegel hin

Yvonne Böhler hat über 250 Autorinnen und Autoren fotografiert. Die vielen Bilder sortierte die Fotografin in säuberlich beschriftete Schachteln, dekoriert mit Karikaturen.

Von Ronja Hauschild

Wenn etwas Yvonne Böhler interessiert, dann sind es verschiedene Weisen, Autoren und Autorinnen darzustellen. Tatsächlich ist die Fotografin davon fasziniert, eine Verbindung zwischen Mensch und Text herzustellen, den geschriebenen Büchern, Geschichten und Gedichten ein «anschauliches» Kennzeichen zu geben. Kein Wunder also, dass ihr die Zeichnungen des Schweizer Historikers und Illustrators Claudio Fedrigo gefallen, die einen schnellen Überblick der Organisation ihrer Fotos ermöglichen sollen.

Böhlers Porträtsammlung
Von Peter Bichsel bis Urs Widmer: Yvonne Böhlers Porträtsammlung, in Ordnern archiviert. Foto: NB, Simon Schmid

Beim Betrachten der Schachteln, in denen sich ein grosser Teil ihrer Porträtsammlung befindet, fallen einem die überdimensionierten Augen und Ohren der Zeichnungen unmittelbar auf. Es handelt sich um Karikaturen, die die markantesten Eigenschaften der Gesichter der Autoren sowie ihre Ideen hervorheben sollen – wobei auf den ersten Blick nichts darauf schliessen lässt, dass es sich um Schriftstellerinnen handelt.

Die Karikaturen fanden über eine gemeinsame Ausstellung im Rahmen der Solothurner Literaturtage 2011 ihren Weg zu Yvonne Böhler. Dort hingen die Zeichnungen Fedrigos im Nebensaal zur Präsentation ihrer eigenen Fotoporträts und gaben somit dem Publikum die Möglichkeit, die Schriftsteller in zwei verschiedenen künstlerischen Darstellungsformen zu betrachten. Ähnlich ist es bei den Schachteln, die mit Schwarz-Weiss- wie Farb-Aufnahmen, Dokumentationsmaterial und mit Korrespondenz mit den Abgebildeten gefüllt sind. Bei den insgesamt 23 Kartons helfen die aufgeklebten Bilder, einen ersten Eindruck der Schreibenden zu bekommen. Neben einer einfachen Möglichkeit, eine Ordnung der vielen Abzüge zu bewahren, zeigen die Karikaturen nicht zuletzt den Erfolg und das breite Spektrum Böhlers. Sie baute seit den 1980er-Jahren ein umfangreiches Netzwerk an Freundschaften auf und lernte so neben den Werken die Personen dahinter kennen. 

Der Kontrast zwischen den Menschen, die man sieht, und den Autorinnen und Autoren, die man sich beim Lesen vorstellt, ist auch in den Fotos von Yvonne Böhler zu finden. Zwei Hauptmotive ziehen sich durch ihr Werk. Zum einen ist es das der Widerspiegelung, das Hauptthema des Buches «Das gespiegelte Ich». Für diese 1988 erschienene, erste grosse Publikation der Fotografin porträtierte sie einundfünfzig zeitgenössische Schweizer Literatinnen und Literaten – an und vor einem Spiegel oder in einer charakteristischen Pose. Die Bilder werden von Texten als literarischem Selbstkommentar der Autoren begleitet.

Neben der Spiegel-Thematik, die auch in späteren Aufnahmen immer wiederkehrt, ist das zweite wichtige Motiv das der Tür. Es geht ein weiteres Mal darum, was ein Schriftsteller oder eine Schriftstellerin von sich zeigt. Was lassen sie die Lesenden sehen, wie weit lassen sie sie ins Haus? Das Öffnen von Türen spielt ebenfalls im Leben der Fotografin eine wichtige Rolle. Als ausgebildeter Übersetzerin gelingt es ihr dank ihrer Mehrsprachigkeit, mit den verschiedensten Schweizer Autorinnen und Autoren in einen künstlerischen Dialog zu kommen. Von den Gewinnern der verschiedenen Literaturpreise bis zu den Übersetzerinnen und Kritikern, alle finden in Böhlers Werk einen Platz.

Yvonne Böhler, geboren 1941 in Basel, ist ausgebildete Dolmetscherin und Übersetzerin. Ab den Achtzigern fotografiert sie einen Grossteil der Schweizer Autorinnen und Autoren aller vier Landesteile, für Sammelbänder, Periodika und in eigenen Publikationen. Ihre Foto-Sammlung umfasst analoge Schwarz-Weiss- und Farbabzüge, Negative und Kontaktabzüge sowie zahlreiche digitale Aufnahmen.

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Letzte Änderung 25.10.2022

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