Die Korrespondenz des Berner Germanisten Bernhard Böschenstein mit Paul Celan bezeugt die Geschichte einer Freundschaft in Briefen.
Von Fanny Audeoud
Nach Paul Celans Freitod im April 1970 findet sich auf seinem Schreibtisch die Hölderlin-Biografie von Wilhelm Michel. Auf der aufgeschlagenen Seite steht folgendes Zitat von Clemens Brentano über Friedrich Hölderlin: «Manchmal wird dieser Genius dunkel und versinkt in den bitteren Brunnen seines Herzens». Der Bezug Paul Celans zu Hölderlin, dessen Leben und Werk ihn wohl neben dem Ossip Mandelstams am meisten beeindruckt hatte, festigte sich durch seine Freundschaft mit dem aus Bern stammenden Germanisten Bernhard Böschenstein.
2018 erwarb das Schweizer Literaturarchiv den Nachlass des Genfer Professors für Neuere deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft, der auch seine umfangreiche Korrespondenz mit über 1700 Briefpartnerinnen und -partnern enthält, unter anderem mit Paul Celan, Friedrich Dürrenmatt, Martin Heidegger, Peter Szondi, Jean Starobinski, Philippe Jaccottet und Gustave Roud. Böschenstein promovierte 1958 bei Emil Staiger an der Universität Zürich mit einer Dissertation über Hölderlins «Rhein»-Hymne und beschäftigte sich sein ganzes Leben lang mit der Lyrik des Dichters der Romantik. In seinem 1968 erschienenen Sammelband «Studien zur Dichtung des Absoluten» sieht Böschenstein eine enge poetische Verbindung zwischen der Dichtung Hölderlins und Celans, die weit über die direkten und indirekten Verweise in Celans Texten («Tübingen, Jänner») hinausgeht.
Diese Begeisterung für Hölderlin verband Paul Celan und Bernhard Böschenstein, die sich 1959 das erste Mal begegneten. Zwar verrät ihr Briefwechsel nicht alles, was sie während ihrer persönlichen Treffen besprachen, doch es wird deutlich, dass ihr Verhältnis dieses gemeinsame Interesse für den Dichter bei weitem überschritten hat. Böschenstein war für Celan zugleich ein gelehrter Gesprächspartner, mit dem er nicht immer übereinstimmte, ein Berater, vor allem in Übersetzungsfragen, und ein Gefährte, mit dem er oft anlässlich von Lesungen durch die Schweiz und Deutschland reiste. Celan drückte in seinen Briefen klare Erwartungen und Bedingungen für seine Lesungen in der Schweiz aus und zeigte sich dankbar für Böschensteins Bemühungen, diese zu respektieren.
In den Briefen kamen aber auch Publikationen, die sich mit Celans Gedichten befassten, kritisch zur Sprache. In diesem Sinne übernahm Böschenstein für Celan auch die Rolle eines Vertrauten. In der Korrespondenz von Böschenstein mit anderen Personen, die Celan nahestanden, wie zum Beispiel André du Bouchet, wird deutlich, dass Böschenstein die Bemerkungen und Bedenken von Celan sehr ernst nahm.
Die Korrespondenz bezeugt diese Zugewandtheit auch noch lange nach dem Tod Celans, da Böschenstein seine Beraterrolle für dessen Familie behielt. Er trug dazu bei, dass Veröffentlichungen weiterhin im Sinne des Dichters herausgegeben wurden, und prüfte unter anderem die Qualität und Worttreue der Übersetzungen.
Die Korrespondenz mit der Familie sowie dem engsten Freundes- und Kollegenkreis zeigt auch, dass es hierbei manchmal zu Missverständnissen und Unstimmigkeiten kommen konnte.
Böschensteins Auseinandersetzung mit der Dichtung von Paul Celan nahm im Laufe der Jahre weiter zu und öffnete die Tür für eine Celan-Forschung, die die mehrsprachige, interkulturelle und intertextuelle Dimension ins Zentrum stellt.
Bernhard Böschenstein, geboren am 2. August 1931 in Bern, war von 1964 bis 1998 Professor für Neuere deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Genf und lehrte auch als Gastprofessor unter anderem an den Universitäten Zürich, Cornell, Princeton, Heidelberg, Pisa und an der ETH Zürich. Er starb am 18. Januar 2019 in Chêne-Bougeries.
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Paul Celans Schweizer Gefährte (PDF, 552 kB, 31.01.2022)Der Bund, Freitag, 21. Januar 2022
Letzte Änderung 31.01.2022