Obszöne Orchideen

Walter Vogt hat die Welt der Drogen erkundet – und literarisch und zeichnerisch verarbeitet.

Von Hannes Mangold

Zwei sogenannte Kritzelzeichnungen von Walter Vogt aus den 1970er-Jahren, die seinen Drogenrausch dokumentieren.
Dokumente des Drogenrauschs: Walter Vogts Kritzelzeichnungen aus den 70er-Jahren.
© NB, Simon Schmid

Fleurs du mal wuchern über das Blatt. Ein Bad Trip wächst in den Himmel. Die Kritzeleien stammen vom Psychiater und Autor Walter Vogt. Sie sind unter dem Einfluss von Drogen entstanden und fangen verschiedene halluzinogene Zustände ein. Vogt schuf zwischen 1969 und 1974 über 50 Kritzelzeichnungen zu den verschiedensten Substanzen und Trips.

Einen Grossteil der Zeichnungen hat der Kurt Salchli-Verlag 1987 im leider vergriffenen Buch «Dröx» publiziert. Jetzt sind im Nachlass von Walter Vogt im Schweizerischen Literaturarchiv zwei weitere Blätter aus dem Zyklus aufgetaucht. Das Blatt mit den scharfen senkrechten Linien entstand vermutlich vor 1974 und unter dem Einfluss von Speed. Das Blatt mit den verworrenen ornamentalen Mustern stammt vom 1. Juni 1974 und dokumentiert einen LSD-Rausch. Es markiert so etwas wie einen Abschluss der Kritzelzeichnungen. Auf der Rückseite vermerkte Vogt: «Meine schwarzen Kritzeleien fangen an, mir Angst zu machen – ich möchte mich davon befreien».

Tatsächlich zeichnete Walter Vogt das Blatt in der Klinik Préfargier bei Marin am Neuenburgersee. Vogt hatte bei sich selbst «Polytoxikomanie» diagnostiziert und sich für eine Entziehungskur eingeliefert. Im Entzug hatte er immer wieder das Gefühl, seine Räusche noch einmal zu durchleben. Die Kritzelzeichnung zeigt einen solchen «Flash-Back».

Die prägende Erfahrung des Entzugs verarbeitete Vogt im Roman «Vergessen und Erinnern». Die Eröffnungsrede an der Buchvernissage hielt der Chemiker Albert Hofmann, der 1943 auf die psychedelische Wirkung des LSD gestossen war. Vogt hatte Hofmann 1970 angeschrieben und ein gemeinsames Forschungsprojekt zu Psychedelie und Psychiatrie in Aussicht gestellt – und einen Vorschuss an LSD erbeten. Beide Vorhaben erwiesen sich bald als illusorisch. Dafür etablierte sich ein reger Austausch, in dessen Verlauf der Schriftsteller dem Chemiker im Frühjahr 1971 sein Gedicht «Dr. Walter Vogts neuestes Testament» widmete. Es beginnt:

ich will kein besonderes begräbnis haben
nur lauter teure und obszöne orchideen
zahllose kleine vögel mit bunten namen
keine nackttänze
aber
psychedelische gewänder
in allen ecken lautsprecher und
nichts als die neueste beatles platte (Abbey Road)
hunderttausendmillionenmal

Ein Arrangement aus geradezu unanständiger floraler und musikalischer Pracht sollte die «mit säure (=acid=LSD)» vollgepumpte Trauergemeinde in eine rauschhafte Feier der eigenen Vergänglichkeit versetzen. So euphorisch tönte das 1971. Zwei Jahre zuvor hatte Vogt seinen ersten LSD-Trip genommen. Zwei Jahre danach befand er sich bereits in der brutalen und selbstzerstörerischen Spirale des Missbrauchs immer stärkerer psychoaktiver Substanzen, die schliesslich in Préfargier und der Kritzelzeichnung endete.

In «Dröx» blickte Vogt konsterniert auf seinen Drogengebrauch zurück. In Anbetracht von Drogensucht und Depression, schrieb er, «kann ich LSD keinem empfehlen», und fragte sich, ob überhaupt ein Unterschied zwischen Psychedelie und Bewusstlosigkeit bestehe. Die Kritzelzeichnungen demonstrierten für Vogt nie seine Kunstfertigkeit, sondern protokollierten seine Bewusstseinszustände. So gesehen blüht auf den aufgetauchten Blättern wohl beides: obszöne Orchideen und böse Blumen.

In der Ausstellung «LSD – Ein Sorgenkind wird 75» zeigt die Nationalbibliothek bis zum 11. Januar 2019 unter anderem die beiden Kritzelzeichnungen sowie Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen Walter Vogt und Albert Hofmann.

Walter Vogt (1927–1988): Psychiater mit Praxis in Muri und Autor von Dramen, Erzählungen, Gedichten, Kriminalromanen und autobiografischen Texten

Obszöne Orchideen (PDF, 496 kB, 24.09.2018)Der Bund, Dienstag, 19. September 2018

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Letzte Änderung 24.09.2018

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