«Ich habe Wale gesehen» von Javier de Isusi

Die Sammlung der Schweizerischen Nationalbibliothek im Bereich Comics, Cartoons oder Karikaturen ist überaus vielfältig und erreicht mit ihren derzeit 3150 Publikationen ein breites Lesepublikum. In der Deutschschweiz sticht der Verlag Edition Moderne hervor, der sich seit seiner Gründung im Jahre 1982 unablässig für den Bereich Comic und Graphic Novel engagiert. Unter seinem Dach sind mehr als 300 Bände erschienen, die sich alle im Bestand der Allgemeinen Sammlung befinden. Auf eine dieser Publikationen gehe ich nun näher ein: Ich habe Wale gesehen des baskischen Comiczeichners Javier de Isusi.

Cover des Comics des Basken Javier de Isusi über eine komplexe Freundschaft in turbulenten Zeiten.
Cover des Comics des Basken Javier de Isusi über eine komplexe Freundschaft in turbulenten Zeiten.
© Verlag Edition Moderne 2017

Die Handlung gründet auf einer wahren Begebenheit und führt uns ins Baskenland, zurück in die Zeit der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Widerstandsbewegung ETA (Euskadi Ta Askatasuna; dt. Baskenland und Freiheit) und der spanischen Regierung. Drei Schicksale, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, werden miteinander verknüpft: Anton, ein Priester, dessen Vater von der ETA ermordet wird und Josu, sein Schulfreund, der später als ETA-Aktivist gefasst wird. Er trifft im Gefängnis auf den Widersacher Emmanuel, ein ehemaliges Mitglied der verdeckt operierenden Organisation GAL (Grupos Antiterroristas de Liberación; dt. antiterroristische Befreiungsgruppen). Sie alle lässt die Vergangenheit nicht los, bis sie sich einander annähern. Da sind aber auch die (Alb-)Träume von Anton, angsterregend und gnadenlos, die in Form von Intermezzi ein starkes Bindeglied zwischen den Geschichten der drei Figuren bilden und da ist auch die Begegnung mit dem Wal.

Einfache Sätze begleiten uns, denen die Zeichnungen viel Ausdruck verleihen, einen gefangen nehmen und uns in den Bann ziehen. Gelb, grau, schwarz. Die Farben sind intensiv, ungewöhnlich, berührend. Es ist faszinierend, was durch die Zeichnungen mit dieser Farbkombination entsteht: Bewegung im Innern, die Erinnerung, die nicht nach aussen dringt; Bewegung im Gemüt, in der Stille, so dass es einen packt, man die Seiten zurückblättert und die Augenblicke einzufangen versucht. Stillstand in Form von lebendigen Bildern. Augen, immer wieder Augen, die den Momenten Tiefe verleihen, in uns eindringen und nicht loslassen.

Viele Fragen eröffnet diese Graphic Novel. Kann ich Abstand nehmen von meinen fest verankerten Ideen? Kann ich mich auf die Perspektive des anderen einlassen, den Blickwinkel ändern? Habe ich wirklich verziehen oder sehne ich mich nur danach? So aktuell die Fragen sind, so einfach die Sätze, so eindringlich die Zeichnungen.

Es gibt das Baskenland, es gibt Katalonien, Jerusalem, es gibt viele Regionen und Länder, die geteilt oder von radikalem Gedankengut geprägt sind. Trotz all der Widerwärtigkeiten zeichnet uns der Autor einen Weg der Hoffnung, hin zum gemeinsamen Gespräch.  

Eine sehr eindrückliche Graphic Novel. Ein Buch, das einen auf sich selbst zurückwirft und zum Nachdenken anregt – ein Geschenk.

Simone Nettheovel
Leiterin Erwerbung Monografien

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