Bewusstseinsstrukturen, Bewusstseinswelten
Von Rudolf Hämmerli und Elmar Schübl
Das Bild zeigt ein Blatt aus dem Nachlass des Philosophen Jean Gebser (1905-1973). Es handelt sich um den Entwurf eines synoptischen Quer- und Längsschnitts, der erweitert und ergänzt seinen Platz in Gebsers Hauptwerk Ursprung und Gegenwart gefunden hat. Dieses zweibändige Werk wird in diesem Herbst im Chronos Verlag neu herausgegeben.
Was zeigt die Übersicht? Gebser skizziert hier die Vielschichtigkeit unseres Bewusstseins. Im ersten Band von Ursprung und Gegenwart entwirft er eine umfassende Bewusstseinsgeschichte und weist darin auf, dass unser Bewusstsein mehrfach strukturiert ist. Sein Strukturmodell beschreibt eine mehrdimensionale Wirklichkeit, verschiedene Bewusstseinswelten. Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben unterschiedliche Bewusstseinsstrukturen für Kulturen Verbindlichkeit erlangt. Die synoptische Übersicht verdeutlicht das. Gebser zeigt aber auch, dass frühere Strukturen ihre Wirksamkeit nicht verlieren. Der Clash der Kulturen findet nach Gebser wesentlich in uns selbst statt.
Ähnlich wie die mittelalterliche Bühne gleichzeitig verschiedene Schauplätze und Ebenen kennt, auf denen gespielt wird, ist unser Bewusstsein eine mehrfach bespielte Bühne sich widersprechender, sich ergänzender Bewusstseinsakte. Das sieht unser Verstand oft anders. Es gibt die verbreitete Tradition des rationalen Selbstverständnisses, die davon ausgeht, dass Bewusstsein und Rationalität dasselbe sind. Gebser kommt zu einem anderen Schluss.
Wir neigen dazu, frühere Bewusstseinsformen abzuwerten, zu verdrängen. Gebser hingegen macht das Potenzial der unterschiedlichen Strukturen bewusst und eröffnet somit die Möglichkeit zur Integration. Dieser Schritt von der Ablehnung hin zur Integration lässt eine neuartige Bewusstseinsform zu. Jean Gebser spricht vom integralen Bewusstsein, dessen Ausdrucksformen in den Künsten und Wissenschaften das Thema des zweiten Bandes von Ursprung und Gegenwart ist.
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