Ein Fotoalbum als Geschenkgabe aus Rumänien
Von Benedikt Tremp
«Dem Verfasser Herrn Friedrich Dürrenmatt in Anerkennung seitens der Direktion des Rumänischen Nationaltheaters, I. L. Caragiale, Bukarest»
Diese Widmung, gehalten in einer verschnörkelten, goldfarbenen Handschrift, ziert die erste Seite eines kunstvollen Fotoalbums, dessen Bildaufnahmen eine Inszenierung der «Alten Dame» von 1963 in der Hauptstadt des damals noch sozialistischen Staates Rumänien zeigen. Unterzeichnet hat sie der Intendant des Nationaltheaters Zaharia Stancu am 10. Februar 1964.
Man hat zu Ehren des grossen Dichters keinen Aufwand gescheut: Die zwei Dutzend Albumblätter bestehen aus schwerem braunem Papier und beinhalten knapp vierzig stimmungsvolle, teils mit adretten (deutschsprachigen) Legenden versehene Fotografien, geschützt durch feine Pergamin-Blätter. Zusammengehalten wird das Ganze von einer Kordelbindung. Front und Rücken des massiven, mit Leder bezogenen Einbands dekorieren eigenwillige, in präziser Handarbeit bewerkstelligte florale Schnitzverzierungen.
Die betont pompöse Aufmachung des Albums zeugt von einer tiefen zugleich aber etwas distanzierten Hochachtung vor Friedrich Dürrenmatt. So spiegelt sich darin symptomatisch, wie die Dichtung des Schweizers in der rumänischen Literaturszene der 1960er Jahre aufgenommen wurde: einerseits als etwas vom künstlerisch Anspruchsvollsten, was die gesamte westliche Literatur zu bieten hat - Der Besuch der alten Dame ist zu dieser Zeit eines der populärsten Stücke in Rumänien. Gelobt wurde das Stück vor allem wegen der antikapitalistischen Tendenz, die man im Güllener Parabelstück zu entdecken glaubte. Andererseits erschien das Stück jedoch als ideologisch ‹kurzsichtig›, weil es zu wenig radikal einer Propagierung sozialistischer Utopien verpflichtet sei.
So gesehen sollte mit dem vorliegenden Geschenk ein westlicher Erfolgsschriftsteller, nicht jedoch ein sozialistischer Propagandaautor geehrt werden - die etwas kühle Eleganz des Albums bringt dies dezidiert zum Ausdruck.
Überraschenderweise wurde diese literaturhistorisch relevante Kuriosität - anders als ähnliche Geschenke aus Polen oder Tschechien - nicht im Nachlass des Dichters aufgefunden, sondern in jenem der Zürcher «Arche» (1944-1982), Dürrenmatts damaligem Buchverlag. Dass dies möglich war, verdankt sich der engen Zusammenarbeit, die zwischen Verleger Peter Schifferli und Dürrenmatt, seinem wichtigsten Autor, bestand. Die Geschenkgabe aus Bukarest ist nicht das einzige Dokument, welches von Neuenburg aus nach Zürich ‹ausgelagert› wurde: Auch u.a. eine grosse Sammlung an den Erfolgsautor adressierter Briefe, darunter ‹Fanpost›, hat dieser - zu seiner Entlastung - Schifferli anvertraut.
Nicht zuletzt infolge solcher enger Austauschverhältnisse stellen Verlagsarchive wie jenes der «Arche» äusserst wertvolle Ergänzungen zu bereits bestehenden Personenarchiven im SLA dar.
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