«Dein Schreiben hat Sinn»

Den Strafrechtler Peter Noll verband eine tiefe Freundschaft mit Max Frisch. Sie reicht vom Pfannenstiel bis nach Ägypten und weit ins Werk hinein.

Von Dominik Kawa

«Dies war der Tag, an dem ich Frisch kennenlernte und Kutter mit Antoinette anfing. Antoinette lag auf ihrem Kanapee, Kutter sass am Fussende und streichelte ihre Füsse, und Dürrenmatt mahnte: Wo hast du eigentlich deine Hände.» So schildert Peter Noll seine erste Begegnung mit Max Frisch. Mit Kutter ist der Ökonom Max Kutter gemeint, der 1953 das Pamphlet «Wir selber bauen unsere Stadt» verfasste. In Nolls Widmungsexemplar fügte er von Hand hinzu: «Ferner erscheinen: / Wir selber machen unsere Gesetze / Ein Wegweiser im juristischen Urwald / Von Peter Noll».

Blaubart
Titelblätter von Max Frischs Blaubart bzw. Tagebuch 1982, Korrespondenz sowie der letzte Eintrag im Kalender Peter Nolls 1982
© Foto: Simon Schmid, NB

Neben Kutter beteiligte sich auch Frisch an dem Band. Er steuerte ein Vorwort bei, an das sich Noll noch lange erinnern sollte: 1964, an der Hamburger Strafrechtslehrertagung, sprach sich Noll für einen Rückbau von Freiheitsstrafen aus. Über die Realisierbarkeit machte er sich keine Illusionen. Und doch war er überzeugt, dass man hier weiterdenken müsse, «denn, um mit Max Frisch zu reden, man ist nicht realistisch, indem man keine Ideen hat».

Nolls Bezüge zu Frisch sind vielfältig. Während die Distanz zu Dürrenmatt seit dessen Umzug nach Neuenburg nicht nur räumlich wuchs, intensivierte sich die Freundschaft mit Frisch gerade in den letzten Lebensjahren. «Ganz Dein», «Du bist ein guter Freund», lauten Nolls Grussformeln; «Herzlich Dein alter», «Von Herzen Dein» die von Frisch. Nachdem Noll 1982 an Krebs gestorben war, hielt Frisch die Totenrede und gab dessen «Diktate über Sterben und Tod» heraus. Hält man sie neben die erst 2011 veröffentlichten «Entwürfe zu einem Dritten Tagebuch» von Frisch, merkt man: Das Gespräch dauert fort.

Gleich bündelweise hatte Frisch die «Diktate» zum Lesen erhalten. Mit Kommentaren hielt er sich zurück, ausser im letzten Brief: «Ich will dir sagen, dass du dich in einem Punkt irrst: dein Schreiben hat Sinn. Das heisst, dass dein Verdacht auf Seite 245 (unten) unberechtigt ist. Aber lass diese Zeilen stehen! – es gibt kein ernsthaftes Schreiben, glaube ich, kein menschliches Schreiben, ohne dass der Schreiber dann und wann vor dieser Frage hockt: ob das denn einen Sinn hat für andere.»

Frischs Briefe begleiten und beleuchten Nolls «Diktate». So telegraphierte er im Februar 1982 vom Bodensee: «Lieber peter dein text ist imponierend – mach weiter – mach 2000 seiten oder mehr». Umgekehrt überliess er Noll, der bis zuletzt dem Zürcher Kassationsgericht angehörte, seine Kriminalerzählung «Blaubart». Erst Nolls Rotstift machte den «Oberrichter» zum «Gerichtspräsidenten» und das «nichtige» zum «falschen» Geständnis.

Dieses Lektorat wiederholte sich ein letztes Mal bei den «Entwürfen zu einem Dritten Tagebuch». Frischs Widmung stammt vom 30. September 1982 – dem Tag, an dem die «Diktate» abbrechen. «Frisch, Landfahrt», lautet der Eintrag in Nolls Taschenkalender; von da an sind die Seitenecken nicht mehr abgerissen. In der publizierten Fassung der «Entwürfe» gesteht Frisch seine Vorahnung, dass dies Nolls letzte Landfahrt gewesen sei. Der Satz, der dessen «Diktate» beschliesst, liest sich wie ein Echo darauf: «Als wir zurückfuhren, regnete es, und wir spürten, dass mit dem milden Wetter auch der Sommer gegangen war, definitiv.»

Peter Noll (1926–1982): Der gebürtige Basler studierte Jurisprudenz in Basel, Lausanne und Paris. Nach acht Jahren an der Universität Mainz wurde er 1970 nach Zürich berufen, wo er Strafrecht lehrte und die Gesetzgebungslehre begründete. Über das Fach hinaus bekannt wurde er durch seine «Diktate über Sterben und Tod».

Letzte Änderung 20.05.2021

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