Der Schweizer Schriftsteller Hermann Burger bekam 1985 von der Stollenklinik Bad Gastein eine Urkunde verliehen – für seine literarischen Verdienste um diesen Ort.
Von Franziska Kolp
Nebst zahlreichen Skizzen, Notizen, Entwürfen und Typoskripten zu seinen Werken sowie einer umfangreichen Korrespondenz – die nicht nur die Briefe seiner Briefpartner umfasst, sondern in Form von Kopien oder Durchschlägen ebenfalls seine eigenen – tauchte Im Nachlass von Hermann Burger auch die Urkunde «Ehrenstollenpatient» auf. Diese war ihm wegen besonderer literarischer Verdienste um den Gasteiner Heilstollen vom Chefarzt Dr. Carl Kammel in Böckstein verliehen worden.
Diese Auszeichnung im Zusammenhang mit Bad Gastein sollte nicht die einzige sein, denn mit «Die Wasserfallfinsternis von Badgastein» (1985), einem «Hydrotestament in fünf Sätzen» verschaffte sich Hermann Burger 1985 nicht nur die Anerkennung von Bad Gastein, sondern auch jene der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Er begeisterte diese – allen voran den «Literaturpapst» Marcel Reich-Ranicki – nicht zuletzt durch seinen enormen Sprachreichtum, seine sprachlich-musikalische Virtuosität und seine sprachschöpferische Leistung. In dieser Erzählung wendet sich ein todkranker Nachtportier an den Kurdirektor und berichtet von einer Naturkatastrophe, die einerseits Weltuntergang und andererseits Triumph der Kunst bedeutet, denn in dem versiegten Wasserfall kommt Schuberts verschollene Gasteiner Symphonie zum Vorschein: «[…] dort unten auf dem Gneisgrund von Grabenstätt ist die komplette Gasteiner Symphonie in Neumen-Schrift, Punctum, Scandicus, Salicus, Flexa, Gnomo, Epiphonus und was der stenographischen Kürzel mehr sind.»
Bad Gastein und sein Stollenkurhaus, das 1953/54 erbaut worden war, hinterliess allerdings schon vor der Wasserfallfinsternis Spuren in Burgers literarischem Schaffen. Als dieser 1981 mit den Vorarbeiten zu seinem Roman «Die Künstliche Mutter» (1982) beschäftigt war, besuchte er erstmals als Kurgast die Stollenklinik. In diesem Werk verspricht die Stollenklinik dem Privatdozenten Wolfram Schöllkopf durch die epochale Therapie der künstlichen Mutter eine heilende Wirkung für seine «Unterleibsmigräne». Bereits 1978 hatte Burger die Idee, Göschenen als Kurort mit einer Stollenbahn, die die Patienten in einem Bettenzug ins Erdinnere fährt, in einem Patienten-Roman zu thematisieren. Diese Idee fand er in Bad Gastein in Wirklichkeit vor, transferierte die Stollenklinik dann aber ins Gotthardmassiv. So wurde das Reale und das Irreale miteinander verwoben und es ergab sich ein «Widerspiel von Realien und Irrealien»: «Na endlich, Herr Dozent, hiess es gangauf, gangab in den teils emailweiss, teils vanillegelb gekachelten Tunneln der Auer-Aplanalpschen Stollenklinik, die im Vergleich zu den Mannschaftsräumen der Gotthardfestung geradezu kaiserfranzjosephlich ausgestattet waren.» In der Stollenklinik in Bad Gastein erfolgt die heilende Wirkung durch das Prinzip der Wärme; diese bereichert der Autor in seinem Roman durch die erotische Therapie mit den Schwestern. Für Burger waren Künstler auch «Therapeuten der Wirklichkeit», wie er in einem Fragebogen festhielt. Zudem war er der Ansicht, dass jeder Mensch sein Krankheitsbild durchschauen lernen müsse, um dann selber so viel wie möglich zur Heilung beizutragen. Doch weder seiner Romangestalt Wolfram Schöllkopf noch ihm selber half diese Erkenntnis.
Nach der Entlassung aus der Stollenklinik fährt Schöllkopf im Tessin in den Tod und der Autor Hermann Burger starb am 28. Februar 1989 an einer Medikamenten-Überdosis. Nach Burgers Tod erwarb das Bundesamt für Kultur im Hinblick auf die Gründung des Schweizerischen Literaturarchivs von den Erben dessen literarischen Nachlass.
Der «Ehrenstollenpatient» (PDF, 856 kB, 09.08.2018)Der Bund, Dienstag, 24. Juli 2018
Letzte Änderung 09.08.2018
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