Reise(s)pass im Verlagsarchiv
von Irina Schubert
1985 veröffentlicht der Zürcher Ammann Verlag Thorsten Beckers Erzählung Die Bürgschaft. Es ist Band Nr. 7 der Bibliothek des Herrn Parnok, einer Reihe für «nicht alltägliche Literatur» und die erste Buchveröffentlichung des 27-jährigen Newcomers. Mit ihr erobert sich Becker «auf Anhieb einen Platz in der zeitgenössischen deutschen Literatur» (Marcel Reich-Ranicki). Die ironisch-absurde Erzählung ist eine aktualisierte Parodie der gleichnamigen Schillerschen Ballade. Sie spielt im geteilten Deutschland der 1980er Jahre. Zwar geht es nicht gerade um Leben und Tod – vgl. das Vorbild: «Ich lasse den Freund dir als Bürgen, / Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen.» – doch das Urteil für den westdeutschen Bürgen wäre immerhin ein lebenslanger Aufenthalt in der DDR, käme der ostdeutsche Freund von seiner Auslandsreise nicht zurück. Die Geschichte endet happy, der «Bundi» kann nach bangem Warten endlich heim kehren – nicht ohne dass die in die Bürgschaft Involvierten, gemäss der klassischen Vorlage, nach erwiesener Männertreue einen Freundschaftsbund schliessen.
Thorsten Becker spricht aus eigener Erfahrung, wenn er die Verhältnisse zwischen Transitautobahn (dem vielleicht einzigen «Ort in Deutschland, den die Bundesrepublikaner fürs Erzählen haben») und Ost-Berlin schildert. Dies bezeugt sein Reisepass, der sich im Ammann Verlagsarchiv befindet.
Neben künstlerisch gestalteten Briefen an das Verlegerehepaar, handschriftlichem Manuskript und Typoskripten befindet sich in Beckers Konvolut besagter, als ungültig gestempelter Reisepass mit über zwanzig Transit-Stempeln der DDR. Für ein US-Visum musste er, wie er am 27. Mai 1984 in einem Brief an Marie-Luise Flammersfeld berichtet, den alten Pass gegen einen neuen West-Berliner Reisepass eintauschen. Becker schlägt im Brief vor, den Ausweis für den Umschlag der Bürgschaft zu verwenden. Gesagt, getan. Auf der Rückseite des Buchs findet man eine Abbildung der letzten Seite des Passes mit dem mittels Streichungen umgestalteten Satz: «Dieser [Rei]s[e]paß ist [Ei]gentum [der] [Bund]es[republik] Deutsch[land]». Nicht umgesetzt wurde Beckers Idee, eine Seite mit Visums-Stempeln abzubilden. Dies soll wenigstens hier nachgeholt werden.
Informations complémentaires
Das knapp 300 Laufmeter umfassende Archiv des Ammann Verlags wurde 2012 vom SLA erworben. Seit Anfang 2013 ist die Erschliessung in Gang. Das Inventar ist noch nicht einsehbar.
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