Jörg Steiner – Aglaja Veteranyi

Luftpost aus Zürich Ein Gruss von Aglaja Veteranyi an Jörg Steiner

von Lukas Dettwiler

Eine «GeburtstagsWolke», von Aglaja Veteranyi an Jörg Steiner einen Monat vor seinem 70. Geburtstag verschickt, lag in der Nachlieferung mit Dokumenten aller Art, die der im Januar 2013 verstorbene Autor noch im Herbst zuvor noch dem SLA übergeben hatte. Ihre maximale Ausdehnung beträgt in der Länge 23,5 cm, in der Höhe 17,5 cm, ihre «Dicke» zirka 0,3 cm. Wortlos verströmt die fünfbauchige Wolke einen Hauch ‹stille Post› - oder LUFTPOST im Veteranyischen Sinn. «Hier öffnen» steht am äussersten linken Wolkenrand geschrieben. Die Finger jedoch brauchen es erst gar nicht zu versuchen: Diese Ansammlung Aglajischer Moleküle unter der Wolkendecke lässt sich nicht schauen, vielmehr ist Fantasie gefragt. Zartestes Himmelblau, kompakt in eine kindlich anmutende Märchenwolke gefasst, entstieg so dem Briefkasten des Schriftstellers von Biel, erfüllt mit dem Pneuma, dem verspielten Geist der Kollegin.

(Himmels)glanz
Eine geballte Ladung fraglose Zuversicht dem Geburtstagskind. Eine Wolke sieben in anschaulichster Form. Wer könnte sich etwas Schöneres zu diesem Tag wünschen? Wer eine solche noch nie gesehen hat oder glaubt, es gäbe sie nicht: Da ist sie, auch wenn bloss abgebildet, das Original schwebt im Archiv über anderer Korrespondenz.
Was kaum sichtbar ist: ein Anflug von Glanz um den Schriftzug LUFTPOST. Ein Streifen Transparentfolie, derart am oberen Rand an den Karton geklebt, dass beim Anheben dieser «Blende» eine allerfeinste Luftverschiebung geschieht und «Aglaja», gerade noch spiegelverkehrt, jetzt gut lesbar erscheint. Mehrfacher Glanz geht davon aus: Der nom de plume Aglaja geht zurück auf Altgriechisch aglaós = glänzend, prächtig. Selbst hat die Namensträgerin wenig davon gesehen: Monica-Gina Veteranyi, 1962 in Rumänien als Tochter eines Clowns und einer Artistin geboren, seit 1977 in Zürich lebend, wo sie 2002 durch Suizid starb, lebte von Träumen, ihre Literatur von zärtlich furioser Fantasie. Warum das Kind in der Polenta kocht, ihr Roman von 1999, beginnt mit «Ich stelle mir den Himmel vor. Er ist so gross, dass ich sofort einschlafe, um mich zu beruhigen». Ist auch die vorliegende Wolke diesem Himmel abgeschrieben? In Kollege Steiner, dem ernsten Erzähler und, mit dem Illustrator Jörg Müller zusammen, Erfinder ernst zu nehmender Kindergeschichten, beglückwünschte die Autorin einen Seelenverwandten, der die Sprache der Bilder bestens verstand, und im Übrigen in all seinen Büchern, ob Kinder- oder Erwachsenenliteratur, feinsinnig die Natur sprechen lässt.

70
Der himmlische Gruss ist nicht so naiv und blau(äugig), wie er einem auf den ersten Blick vorkommen mag. Auf der Adressenseite, im Eigennamen, ist kunstvoll die Zahl 70 eingebettet: « 7 Ö r g ».
Handfeste Wolken sind, auch in einem Literaturarchiv, eine äusserst seltene und überdies fragile Rarität. Gut aufbewahrt aber wird diese Wolke der Freundschaft alle Wetter überstehen.

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