Quarto 50 / 2022, Grisélidis Réal

Die 50. Ausgabe des «Quarto» würdigt Grisélidis Réal (1929–2005) und ihr Schreiben, das sie immer als eine Notwendigkeit betrachtete, um sich von den Zumutungen der Gesellschaft und des Daseins zu befreien, sie sichtbar zu machen und ihnen entgegenzutreten. Ein Schreiben, das abwechselnd lyrisch, naturalistisch, elegisch, polemisch oder fröhlich obszön sein konnte.

Quarto 50
Umschlag von Quarto 50
mit Portrait von Grisélidis Réal, s.d.
© Fred Meinen

Wenn wir heute über Grisélidis Réal sprechen, erinnern wir uns an eine Persönlichkeit, die ikonisch geworden ist: die «revolutionäre Prostituierte», die ihre Stimme fast ausschliesslich in den Dienst einer besonderen Sache stellt, in die Verteidigung ihrer «Schwestern» und den Kampf für die Anerkennung ihrer Rechte.

Dass diese Stimme aber so einzigartig persönlich und im gemeinsamen Kampf gleichzeitig so effizient sein konnte, verdankte sie in erster Linie den Worten, die sie mit höchster Spannung, mit Provokation und Leidenschaft aufzuladen wusste. 

Beim Lesen ihres Werks empfinden wir daher ein paradoxes Vergnügen. Immer wieder beschreiben die Texte alle möglichen Formen von Schmerz: die Hindernisse, die einer unabhängigen Frau in den Weg gelegt werden («Le Noir est une couleur»), die Leiden und (seltenen) Freuden der Prostitution («La Passe imaginaire») oder den nahenden Tod («Les Sphinx»). Dennoch verspüren wir so etwas wie Freude vor der ungeheuren Intensität dieses Schreibens.

Mit diesem «Quarto» würdigen wir diese sprachliche Kreativität von Grisélidis Réal. Einen besonderen Schwerpunkt legen wir auf ihr berühmtestes Werk «Le Noir est une couleur». Wir betrachten auch Réals Briefkunst, die philosophische Wirkung ihres berühmten «Carnet noir», ihre Rolle für das Schreiben über die Prostitution und schliesslich ihre Beispielhaftigkeit für die soziologische Forschung. Wir lassen einen Verleger, einen Schriftsteller und eine Schauspielerin zu Wort kommen, die alle auf ihre eigene Art und Weise von der Lektüre ihrer Texte erschüttert wurden. Wir hoffen, dass mit diesen vielfältigen Zugängen die zutiefst aufwühlende Stimme von Grisélidis Real wieder erklingen wird. 

Mit Beiträgen von Arno Bertina, Isabelle Boisclair, Denis Bussard, Stéphanie Cudré-Mauroux, Christine Delory-Momberger, Laurent de Sutter, Fabien Dubosson, Sophie Jaussi, Yagos Koliopanos, Yves Pagès, Igor Schimek, Coraly Zahonero.

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