Der deutsche Dichter und Übersetzer Albert Vigoleis Thelen verbrachte die Jahre 1939–1947 im portugiesischen Exil. Ein Wetterdrache zeugt von den Wirren dieser Zeit.
Von Moritz Wagner
Wetterwendisch war Vigoleis nie. Nationalismus und Deutschtümelei waren dem 1903 am Niederrhein geborenen Schriftsteller Albert Vigoleis Thelen seit jeher suspekt. Schon als Gymnasiast widersetzte er sich der völkischen Gesinnung seiner Lehrer und Mitschüler, was ihm den Stempel des «nationalen Dummkopfs» eintrug. Entsprechend früh erkannte er die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus, die ihn und seine spätere Frau, die Baslerin Beatrice Bruckner, bereits 1931 veranlassten, die Heimat zu verlassen.
In seinem pikaresken Roman «Die Insel des zweiten Gesichts. Aus den angewandten Erinnerungen des Vigoleis» (1953) legte Thelen später von den Jahren des Exils auf Mallorca ein fulminantes Zeugnis ab. Wie die autofiktionale Erzähler-Figur Vigoleis als Fremdenführer deutsche Kraft-durch-Freude-Touristen zum Narren hält, ist ein Glanzstück antifaschistischer Satire.
Noch in Palma stiess Thelen auf das Werk des portugiesischen Mystikers Teixeira de Pascoaes, in dessen ‹saudosismo› und ‹ateoteismo› der «Erzweltschmerzler» und «Weltverneiner» Vigoleis eine Geistesverwandtschaft erblickte. Im Eiltempo lernte er Portugiesisch und begann Pascoaes’ philosophische Biografien über «Paulus» und «Hieronymus» ins Deutsche und ins Niederländische zu übertragen.
Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs zwang das Ehepaar Thelen dann zur Flucht vor den Falangisten. Zwar fanden sie vorübergehende Zuflucht in der Schweiz, eine dauerhafte Niederlassungsbewilligung blieb ihnen indes versagt. In diesem schicksalhaften Augenblick erweist sich die Freundschaft mit Pascoaes als rettender Ausweg. Über Genf, Medina del Campo und Fuentes de Oñoro fliehen Vigoleis und Beatrice in den letzten Augusttagen des Jahrs 1939 nach Portugal, wo sie am Tag des Kriegsausbruchs auf Pascoaes’ Weingut bei Amarante eintreffen und bis 1947 sichere Obhut finden werden.
Thelen dankt es mit weiteren Übersetzungen, weibelt bei Verlagen und bittet gar Thomas Mann, Pascoaes für den Nobelpreis vorzuschlagen. Die Jahre auf Schloss Pascoaes, das Thelen im gleichnamigen Lyrikband 1942 verewigte, waren so prägend, dass Vigoleis und Beatrice fortan untereinander Portugiesisch sprachen. Wenig verwunderlich, dass Vigoleis seine «angewandten Erinnerungen» mit einem «lusitanischen Memorial», dem «Gesicht der zweiten Insel» fortzusetzen trachtete. 850 Manuskriptseiten soll Thelen geschrieben haben, erhalten geblieben sind allerdings nur vier Kapitel über die Flucht nach Portugal. Den Rest vernichtete Beatrice dem testamentarischen Wunsch ihres Gatten gemäss.
Erhalten hat sich dagegen ein leuchtend gelber Wetterdrache. Eine Wetterfahne im Archiv? Legitimation bietet die Literatur. So heisst es in Fontanes «Stechlin» über Baron Dubslav: «Ich bin sonst nicht für Sammler. Aber wer Wetterfahnen sammelt, das will doch was sagen, das ist nicht nur eine gute Seele, sondern auch eine kluge Seele, denn es is da so was drin wie ein Fingerknips gegen die Gesellschaft.»
Worte wie gemünzt auf den «Erzschelm» Vigoleis, der das Humane stets mit dem Geistreichen und Subversiven zu verknüpfen verstand. In einem Brief aus jener Zeit berichtet er von «zwei feuerspeienden Drachen», die „auf meiner Brust prangen». Kein Leiblöwe wie beim heiligen Hieronymus, sondern schutzbringende Leib- und Wetterdrachen begleiteten ihn also auf seinen weiteren Exilstationen nach Amsterdam, Ascona, Blonay und Lausanne. Bis zuletzt blieb Vigoleis ein Fahnenträger der Freiheit, kein Fähnlein im Wind.
Albert Vigoleis Thelen (1903–1989) war ein deutscher Schriftsteller und Übersetzer, der von 1931 bis 1986 im Exil lebte, davon 35 Jahre in der Schweiz. Sein Hauptwerk ist der Roman «Die Insel des zweiten Gesichts». Das Schweizerische Literaturarchiv erwarb 2023 einen bedeutenden Teilnachlass Thelens.
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Letzte Änderung 17.09.2024