Von fluoreszierenden Nebelmeeren und kleinsten Schneekristallen

Die Fotokamera begleitete den Naturwissenschaftler und Künstler Andreas Züst sein Leben lang. Mit ihr dokumentierte er Natur und Kultur, Alltägliches und Aussergewöhnliches, Absurdes und Berauschendes, Kleines und Grosses. Und dies vom Bachtel im Zürcher Oberland bis nach Grönland.

Von Beat Scherrer

Züst Himmel 1
Andreas Züst: Ohne Titel, aus der Serie «Himmel / Fluoreszierende Nebelmeere», 1990–2000
© Nachlass Andreas Züst / Graphische Sammlung, NB

Nebelmeere, die im Winter wattegleich die Senken des Schweizer Mittellandes füllen, waren ein beliebtes Motiv Züsts. Insbesondere die schon fast mystischen Lichterscheinungen, welche bei guten Bedingungen nachts und in der Dämmerung auf der Oberfläche des Nebels sichtbar werden, faszinierten ihn. Diese Lichterscheinungen sind eine Folge der intensiven nächtlichen Beleuchtung in unserer Zivilisationslandschaft. Und so ist es nicht erstaunlich, dass im Fotoarchiv von Andreas Züst, welches sich seit 2012 in der NB in der Graphischen Sammlung befindet, unzählige dieser teils alltäglichen, teils aber sehr spektakulären Aufnahmen vorhanden sind. 

Ausgerüstet mit seiner Polarforscherkleidung verbrachte Andreas Züst lange und kalte Winternächte auf der Terrasse seines Hauses im Zürcher Oberland oder auf dem nahegelegenen Aussichtsturm des Bachtel, um diese Phänomene mit der Kamera einzufangen. So entstand ein ganzer Reigen an ungewohnten Bildern von «fluoreszierenden Nebelmeeren», welchen zu entdecken sich lohnt.

Blick an den «Himmel»

Dia-Karussell
Dia-Karussell von Andreas Züst mit Fotos aus der Serie «Himmel / Wolken» (Foto: NB, Simon Schmid)

Von den Nebelmeeren bei Nacht ist es nicht weit bis zu Wolken- und Strahlenbildern bei Tag. Während mehr als zwanzig Jahren entstanden unzählige Aufnahmen des Himmels in verschiedensten Ausprägungen. Auch hier zeigt sich Andreas Züsts Beobachtungsgabe und seine Liebe für das Detail und das Unerwartete. Diese Fotografien verdichtete er in den 1990er Jahren zu einer Tonbildschau mit dem naheliegenden Titel «Himmel». Die Sujets zeigen von den Dampfsäulen der AKW-Kühltürme über Zwielichtaufnahmen, Regenbögen, Strahlen am Morgen- und Abendhimmel, Nordlichter, Blitze bis zu Wolken in den verschiedensten Formationen ein breites Spektrum an Himmelserscheinungen. Die Arbeit an dieser Tonbildschau war nie fertig, Züst hat sie immer wieder optimiert, Sujets ausgetauscht, die Reihenfolge verändert. Nur die Anzahl der Dias blieb gleich: 81 Stück, genau 1 Karussell füllend. Und vor jeder Aufführung reinigte Andreas Züst selber jedes einzelne Dia, damit sich ja kein Staubkorn darauf ablagern konnte, welches das Bild auf der Leinwand stören würde.

Von den horizontfüllenden Aufnahmen zu solchen von Schnee- und Eisstrukturen

Züst Eis
Andreas Züst: Ohne Titel, aus der Serie «Eis», 1970–1989
© Nachlass Andreas Züst / Graphische Sammlung, NB

In jungen Jahren war Andreas Züst als Forschungsassistent für Klimatologie und Glaziologie mehrmals in Grönland unterwegs. Dort begann seine fotografische Auseinandersetzung mit den Themen Schnee und Eis, und dies sowohl mit den Augen eines Wissenschaftlers wie jenen eines Künstlers. Neben Stimmungsbildern der Witterung und des Lichts an klirrend kalten Tagen und in polaren Nächten richtete er den Blick auf die kleinsten Strukturen dieser faszinierenden gefrorenen Welt: die Schnee- und Eiskristalle. Ihnen widmete er sich wiederholt auch während späterer Aufenthalte in Kanada, Island, Norwegen und in den Schweizer Alpen. So entstand ein grosser Fundus an Aufnahmen, der im Jahre 2020 als Grundlage für eine Ausstellung im Kunstmuseum Luzern und für die Publikation «Pursuit of Wonders» diente.Nebelmeere, Himmelaufnahmen und Eisfotografien sind drei Beispiele aus dem fotografischen

Schaffen von Andreas Züst und zeigen nur einen kleinen Teil seines Wirkens. Als Beispiel für weitere Fotoarbeiten seien hier die Porträtserien «Bekannte Bekannte» und die Aufnahmen von Verkehrskreiseln genannt. Darüber hinaus war Andreas Züst aber auch «Maler, Kunstsammler, Nachtschwärmer, Verleger, Filmproduzent, Bibliomane, Naturwissenschaftler und Mäzen» (nicht-abschliessende Aufzählung gemäss andreaszuest.net).

«Andreas Züst (1947–2000), Fotograf und Maler. Naturwissenschaftler, Verleger und Sammler. 1967‒1970 Studium der Naturwissenschaften an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH in Zürich; 1973‒1980 Forschungsassistent für Klimatologie und Glaziologie in Kanada, Grönland und den Schweizer Alpen; er engagiert sich bereits während seiner Studienzeit für künstlerische Projekte und beginnt eine umfangreiche Sammeltätigkeit; parallel dazu eigene künstlerische Tätigkeit im Bereich Fotografie und Malerei. […] 1987 und 1996 Herausgabe der Bücher «Bekannte Bekannte» mit Porträts aus der Zürcher Kunst- und Kulturszene; 1991 Koproduktion des Filmes «Picture of Light» von Peter Mettler über Nordlichter; in den 1990er-Jahren Bilddokumentationen über Himmel- und Wetterphänomene; ab 1994 verlegerische Tätigkeit und Herausgabe verschiedener Bücher mit Künstlerfreunden.» (zitiert aus: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz, 2010)

Literatur und Quellen

Letzte Änderung 30.03.2022

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