«Voyage pittoresque»

Gabriel Lory «Sohn», Aussicht bei der Galerie des Glaciers, «Voyage pittoresque de Genève à Milan par le Simplon», Paris, 1811 (GS-GUGE-125-13).
Gabriel Lory «Sohn», Aussicht bei der Galerie des Glaciers, «Voyage pittoresque de Genève à Milan par le Simplon», Paris, 1811 (GS-GUGE-125-13).

Rund 20 Kilometer. Dies ist die Distanz zwischen Brig im Rhonetal und Iselle di Trasquera auf der italienischen Seite der Alpen. Der über hundertjährige Simplontunnel, der die beiden Orte verbindet, ist eine wahre technische Hochleistung und fasziniert auch heute noch. Bereits vor einem Jahrhundert machte der Simplon mit seiner ersten befahrbaren Strasse von sich reden, die im Herbst 1805 eröffnet wurde.

Auch zahlreiche Kunstschaffende lobten diesen bautechnischen Triumph über die Berge ─ die bekanntesten waren ohne Zweifel Gabriel Lory (1763-1840) und sein Sohn Gabriel Mathias Lory (1784-1846). In ihrem 1811 erschienenen Buch Voyage pittoresque de Genève à Milan par le Simplon illustrierten die beiden Berner Künstler alle Reiseetappen zwischen dem Genfersee und dem Lago Maggiore mit wunderschönen Aquatinten.

Der Text ist voller Details über die Geschichte, die Geografie oder die Bräuche der auf dieser Reise durchquerten Gegenden. In einem leidenschaftlichen Porträt des Wallis prophezeit der Autor, dass beim Anblick des Tals sogar die für Naturschönheiten unempfänglichsten Menschen Überraschungen und lebhafte Emotionen empfinden werden. Zur neuen Strasse über den Simplon schreibt er Folgendes: «Der enge und gefährliche Weg, der beinahe wie aufs Geratewohl in die Felsen und wilden Täler gezeichnet wurde, macht einer Strasse Platz, die so gleichmässig ist wie eine Gartenallee, die sich elegant an die Konturen der Berghänge anschmiegt.» Der Text ist eine kaum verhaltene Ode an den Mann hinter diesem Projekt, Napoléon Bonaparte, und an den Bauleiter, Nicolas Céard. Von den 35 Radierungen des Werks sind nicht weniger als 20 der neuen Route über den Simplon gewidmet und zeigen in Felsen gegrabene Tunnels, Brücken über schwindelerregenden Abhängen oder Postkutschen in voller Fahrt.

Gabriel Lory «Vater», Im Innern der Grande Galerie, «Voyage pittoresque de Genève à Milan par le Simplon», Paris, 1811 (GS-GUGE-125-20).
Gabriel Lory «Vater», Im Innern der Grande Galerie, «Voyage pittoresque de Genève à Milan par le Simplon», Paris, 1811 (GS-GUGE-125-20).

Auch die Natur wird gerühmt: «Es gibt keinen Pass im Hochgebirge, auf dem die Natur keine interessanten Objekte platziert hätte: Neugierige Gelehrte, Künstler oder Reisende finden immer ein bewundernswertes Element, eine unerschöpfliche Quelle für Studien- und Observationsthemen.» Und einige Zeilen später: «Dieses Ensemble bildet eine grandiose Szenerie, die sich bei jedem Schritt ändert, die Seele bewegt und Gefühle entspringen lässt, denen die Frische und die Reinheit der Atemluft noch mehr Lebendigkeit verleihen.»

Ich bin ebenfalls fasziniert von dieser einzigartigen Naturschönheit, die mir grossen Respekt einflösst und ein Gefühl von Bescheidenheit hervorruft. Abrupte Felshänge, schroffe Gipfel: Die feinen Radierungen in Voyage pittoresque versetzen mich in eine Traumwelt. Manchmal genügt es sogar, bloss kurz die Augen zu schliessen und man hat das Gefühl, das Rauschen eines Wasserfalls in der Ferne zu hören.

Die Grafische Sammlung der Schweizerischen Nationalbibliothek besitzt eine wunderschöne Ausgabe von Voyage pittoresque, in der die Radierungen von Hand koloriert wurden. Das Werk ist sehr fragil, dank der Digitalisierung kann es jedoch bald auch virtuell bewundert werden. In der Zwischenzeit kann man es im Lesesaal als Faksimile durchblättern (KAf CH 24a Res). Zu erwähnen ist auch der Katalog einer Ausstellung zu diesem Thema (Nb 86596).

Barthélémy Grass
Mitarbeiter Graphische Sammlung

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